Trias

Rückblick: Einmalige Einblicke in die flexuosus-Zone von Geilsdorf

Aus Anlass des Erscheinens zweier Publikationen möchte ich hier die Gelegenheit nutzen, eine ehemalige Fundstelle vorzustellen, die für mich einen Höhepunkt meiner Sammeltätigkeit im Oberen Muschelkalk Thüringens darstellt.
Anfang Juni 2016 erhielt ich von Sammlerfreund Kay-Uwe Elste die Nachricht, dass in der Nähe von Stadtilm ein neuer Autobahnzubringer für die A 71 im Bau sei und dort an mehren Stellen der Obere Muschelkalk aufgeschlossen sei. Schon bei unserer ersten gemeinsamen Begehung der recht abgelegenen Baustelle war klar, dass dort Material aus der flexuosus-Zone auf die Halden gefahren wurde.
Ceratites flexuosus, die älteste und erste Chronospezies der evolutionären Biospezies Ceratites nodosus, ist so etwas wie der „Heilige Gral“ für „besessene“ Ceratitensammler wie mich. Neben ihrer enormen, fast schon phantomhaften Seltenheit und faszinierenden Ästhetik war es vor allem auch die wissenschaftliche Bedeutung der extrem variablen Immigranten-Morphen, die mich seit Jahrzehnten jeden noch so kleinen Aufschluss dieser Zone gründlichst untersuchen ließ. Daher ließ die Hand voll spontan gefundener Ceratitenbruchstücke auf der Halde bei mir alle Alarmglocken läuten, war doch zuvor bereits ein einziger Ceratitenfund aus dieser Zone immer eine kleine Sensation.
Der Aufschluss selbst präsentierte sich trotz enormer Erdbewegungen und intensiver Suche in gewohnt Ceratiten-freier Art und Weise und die Ablagerungen waren noch dazu tektonisch kompliziert gestört. Bei mir kam die Vermutung auf, dass alle Fundstücke aus nur einer einzigen Fundschicht stammen müssten, da wir ansonsten mehr Material hätten finden müssen. Allerdings waren von den bisherigen Fundorten Troistedt und Bucha keine konkreten Fundlagen bekannt. Bisher waren es fast immer seltene Einzelfunde im gesamten Schichtkomplex der Zone gewesen, die regional immerhin über neun Meter Mächtigkeit aufweist.

 

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Abb. 1: Der Fundort Geilsdorf vor den Grabungen.

 

Es ließ mich nicht los und viele Tage suchten wir die Hänge ab – bis es am 24. Juni bei bereits fortgeschrittener Dämmerung endlich soweit war: ein Ceratites flexuosus lugte in situ aus dem Hang, 4,5 m über der Tetractinella-Bank. Ich hackte nach und innerhalb von zirka 30 Minuten hatte ich sage und schreibe 16 nahezu perfekt erhaltene Steinkerne geborgen. Euphorisch rief ich meinen Freund Siegfried Rein an und meldete ihm die Sensation, denn noch nie wurde in diesem Bereich eine Ceratitenpopulation geborgen. Er fuhr sofort los und wir gruben noch bis weit in die Nacht hinein im Schein der Taschenlampen.

In den nächsten Tagen musste es schnell gehen: Sicherung der Fundstelle, absolute Geheimhaltung, Information an das Naturkundemuseum Erfurt, Kontakt zur DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH) und zur ausführenden Baufirma Bickhardt Bau. Alles klappte gut, insbesondere durch die ausgezeichneten Kontakte von Kay-Uwe. In der Folge organisierten wir insgesamt drei größere abenteuerliche Grabungen (teils bei über 30 Grad Hitze) mit schwerem Gerät und Personal von Bickhardt Bau, die sogar den ansich bereits fertigen Böschungshang extra für uns nochmals großflächig abtrugen.

 

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Abb. 2: Exaktes Abtragen bis zur Fundlage durch Großgerät.

 

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Abb. 3 und 4: Die emsigen Grabungsteilnehmer waren trotz extremer Hitze und Sonneneinstrahlung immer gut gelaunt.

 

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Abb. 6: Die Hangneigung arbeitete für die Gräber.

 


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Abb. 7: Nach geleisteter Vorarbeit konnte die Fundschicht flächig abgetragen werden.

 

 

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Abb. 810: Auf der Fundlage geht es weiter mit feinem Gerät und die Arbeit wird mit den erhofften Funden belohnt.

 

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Abb. 11 und 12: Wie man Siegfried Rein ansieht, machte es einfach großen Spaß!

 

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Abb. 13 und 14: Eine weitere Fläche wird mit dem Bagger vorbereitet und gleichzeitig machte sich ein Hauch von Wahnsinn breit. Dieses Bild von Thomas Billert war ein Fotogruß an den kanadischen Sammlerfreund Tim Skippy Miller, der in der Facebook-Fossiliengemeinde Vielen bekannt ist.

 


Die Ceratiten stammten aus einer etwa drei Zentimeter dicken Tonmergel-Lage die von einer zirka acht Zentimeter mächtigen, durchgehenden mudstone-Lage abgedeckt wurde. Auf dieser lag eine sehr markante plastische Tonschicht auf, sodass sich der Fundhorizont trotz der tektonischen Störungen über weite Strecken lokalisieren ließ. Mit dem Bagger wurde flächig bis an das Top der mudstone-Lage abgetragen. In akribischer Teamarbeit (Kay-Uwe Elste, Siegfried Rein, Thomas Billert, Peter Thieme, einige hilfsbereite Kollegen vom Naturkundemuseum Erfurt und ich) wurde diese Kalkbank dann bis zur Fundlage herausgehebelt. Die Ceratiten lagen darin weiträumig verstreut einzeln oder zu zweit nebeneinander in der ansonsten fast fossilleeren Tonlage – etwa ein bis zwei Stück pro Quadratmeter. Insgesamt konnten etwa 120 Quadratmeter des Fundhorizontes durchsucht und über 150 oft perfekt körperlich erhaltene Ceratitensteinkerne geborgen werden.

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Abb. 15: Flexuose Ceratiten nach dem Säubern.


Die Geilsdorfer flexuosus-Population ist aufgrund ihres Alters und ihrer Erhaltungsqualität absolut einzigartig und herausragend. Sie bildet einen Schlüssel zum Verständnis der frühen Ceratiten-Evolution im Oberen Muschelkalk. Nach aufwändiger Präparation und statistischer Auswertung erfolgte nun die Publikation der Forschungsergebnisse. Diese werfen ein völlig neues Licht auf die Immigration der Ceratiten aus der Sephardischen Faunenprovinz und ebenso auf die biologischen Anpassungsstrategien der geheimnisvollen Ceratiten-Tiere im endemischen Ökosystem des Oberen Muschelkalkmeeres.

 

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Abb. 16: Tafelbeispiel aus BRANDT, S. & REIN, S. (2019): Beispiele der Größenklassen der adulten Individuen in der Geilsdorfer flexuosus-Population.

 

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Abb. 17: Weiteres Tafelbeispiel aus derselben Publikation: spektakuläre Funde!

 

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Abb. 18: Die Art Sturia brandti REIN, 2019 ein neu entdeckter alpiner Immigrant der vor den sephardischen Ceratites eingwandert ist (siehe REIN, 2019).

 

Sebastian Brandt für Steinkern.de

 

 

 

Diskussion zum Artikel im Steinkern.de Forum:

https://forum.steinkern.de/viewtopic.php?f=3&p=266824

 

 

 

Publikationen in VERNATE 38/2019 (Veröffentlichungen des Naturkundemuseums Erfurt):

 

BRANDT, S. & REIN, S. (2019): Die Chronospezies Ceratites flexuosus von Geilsdorf - Ein evolutionsbiologischer Modellfall der evolutionären Art Ceratites nodosus, in: VERNATE, 38, S. 544, 11 Abb., 7 Taf., Erfurt.

 

Zum Download von BRANDT, S. & REIN, S. (2019) auf ResearchGate.

 

Zusammenfassung:

Nach der allopatrischen Speziation einer unbekannten Spezies der Gattung Ceratites de Haan aus der sephardisch/levantischen Faunen-Provinz entstanden die Schwester-Arten Ceratites nodosus Schlotheim, 1820 und Ceratites tornquisti Philippi, 1901. Die stammesgeschichtliche Entwicklung als evolutionäre Spezies Ceratites nodosus beginnt im unteren Illyrium mit der Immigration in den hessisch/thüringischen Senkungsraum des Muschelkalkmeeres. Die Analyse des Fundmaterials der Geilsdorfer flexuosus-Population 4,5 Meter über der Tetractinella-Bank liefert die Basis-Werte ihrer lückenlosen endemischen Phylogenese.
Entscheidend für die Aussagekraft der Belegstücke ist ihre autochthone Einbettung als Individuen einer Population in einer stratigraphisch ungestörten Lage. Eine diagenetische Besonderheit ist die vollständige Sediment-Verfüllung der Wohnkammer. Sie ermöglicht die einzigartige biometrische Unterteilung in drei Ontogenie-Stufen bis zur Gehäuse-Mündung.
Grundlage für das generelle Verständnis der Biologie der Ceratiten der Geilsdorfer flexuosus-Population ist ihre zweistufige Individual-Entwicklung. Die Wachstums-Umkehr von der progressiven zur regressiven Querschnitts-Zunahme beim Gehäuse-Bau entspricht dem Wechsel vom Jugend-Alter zum Adult-Stadium. Für diesen in der ontogenetischen Entwicklung des Ceratiten-Tieres geführten Nachweis eines Gestalt-Wandels wird der Begriff „regressive Wachstums-Metamorphose“ „rWM“ gewählt. Die „rWM“ ist das bedeutendste evolutionsbiologische Merkmal der Immigranten. Es wird hypothetisch als Prozess der Geschlechtsreife gedeutet.
Als divergierende Ausbildung wird bei der „rWM“ ein genetisch basierter Antagonismus der Innenspirale sichtbar. Der Parameter-Wert „20“ der Nabelweite trennt zwei juvenile Morphotypen. Die Werte des Morphotyps „e“ < 20 und die Werte des Morphotyps „p“ > 20.
Physiologisch verursacht verändern sich beim Wachstum im Adult-Stadium die Parameter-Werte in den Ontogenie-Stufen. Trotzdem bleiben bei allen Individuen der Morphotypen „e“ die Werte immer < 20. Im Unterschied dazu können Morphotypen „p“ zu Individuen mit Nabel-Werten < 20 transformieren. Die kausal genetisch belegte Unterscheidung der Morphotypen „e“ und „p“ wird hypothetisch als Merkmal für Geschlechts-Dimorphismus gedeutet.
Der Phragmokon ist als Jugendform des Geilsdorfer Ceratiten-Gehäuses immer dichotom skulpturiert. Mit durchschnittlich 13 eingebauten Kammern ist es der kleinste Phragmokon-Bau der Morphokline. Ungewöhnlich ist auch die Entwicklung der Wohnkammer-Skulptur der flexuosen Morphen. Sie entspricht keinem eigenen fortschreitend evolutiven Aufbau sondern einem rückschreitenden Abbau adulter Skulptur-Bildungen.
Voraussetzung für das Verständnis der Entstehung der spezifischen Skulptur- und Schalen-Bildungen ist die flächige Haftung des Weichkörpers am Hypostracum vom apikalen Ende der Wohnkammer bis zum Kopf-Fuß vor der Gehäuse-Mündung.

 

 

REIN, S. (2019): Sturia brandti n. sp. und Sephardonautilus tridorsatus n. gen. – Immigranten, Migrationswege und Korrelationen im Oberen Muschelkalk (Mittlere Trias), in: VERNATE, 38, S. 4562, 8 Abb., Erfurt.

 

Zum Download von REIN, S. (2019) auf ResearchGate. 

 

Zusammenfassung:

Als neu entstandenes Ökosystem ist der Obere Muschelkalk ein tektonisch dominiertes Binnenmeer. Immigrierte Makrofossilien aus den alpinen und sephardischen Faunenprovinzen ermöglichen die biostratigraphische und chronostratigraphische Korrelation.

In der unteren trinodosus-Zone migriert Germanonautilus salinarius aus der austroalpinen-dinarischen Faunenprovinz über eine helvetisch-alemannische Pforte in das neu entstandene Binnenmeer. Aus der Stammart entstand kladogenetisch Germanonautilus bidorsatus. Auf dem gleichen Weg migrierte in der mittleren trinodosus-Zone Sturia sansovinii aus der austroalpinen Faunenprovinz und bildete kladogenetisch die neue Spezies Sturia brandti n. sp..

Der bedeutsamste Schritt der Besiedlung des Ökosystems Oberer Muschelkalk erfolgte im unteren Illyrian aus der sephardischen Faunenprovinz durch eine einmalig kurzzeitig tektonisch geöffnete burgundisch-rheinischen Pforte. Mit Sephardonautilus tridorsatus nov. gen. als Typusart der neuen Gattung Sephardonautilus und der Stammart Sephardonautilus salinarius wird die verwandtschaftliche Verbundenheit zwischen den Individuen des Muschelkalkmeeres und der Sephardischen Faunenprovinz dokumentiert.

Gleiches gilt für die nach allopatrischer Speziation aus einer unbekannten Spezies der Gattung Ceratites de Haan der Sephardischen Faunenprovinz entstandene evolutionäre Art Ceratites nodosus.

Die Stammart Sephardonautilus salinarius aus der trinodosus-Zone der oberen Gevanim Formation von Makhtesh Ramon belegt die chronologische Korrelation des Migrationsweges des Sephardonautilus tridorsatus.

Die Morphokline der beispiellos eurypotenten evolutionären Art Ceratites nodosus ermöglicht die lückenlose biostratigraphische Gliederung des Oberen Muschelkalkes.

Populationen der südalpinen Morphen Flexoptychites angustoumbilicatus und Protrachiceras recubariense immigrierten hypothetisch zeitgleich mit dem Brachiopoden Punctospirella fragilis. Der Zeitpunkt dieser vierten Immigrationsphase entspräche chronostratigraphisch und biostratigraphisch dem Anisian/Ladinian Wechsel. Mit physiologischer Anpassung überleben Flexoptychites und Protrachiceras in SW Deutschland von der evolutus-Zone bis in die spinosus-Zone. Sie erwarten einen neuen kladogenetischen Artstatus.

Für die Festlegung des Anisian/Ladinian Wechsels im Oberen Muschelkalk ergäbe sich die Spiriferina-Bank mit dem Wechsel von der compressus-Zone zur evolutus-Zone. Er korreliert in der südalpinen Faunenprovinz mit dem Wechsel von der secedensis-Zone zur curionii-Zone.

Die Immigranten aus dem Ladin der Schreyeralm-Formation Parapinacoceras thiemei und Gymnites brunzeli besiedeln kurzzeitig das Beckeninnere in Thüringen.

Durch die allopatrische Speziation einer unbekannten Spezies der Gattung Ceratites de Haan aus der sephardischen Faunenprovinz entstanden die Schwester-Arten Ceratites nodosus und Ceratites tornquisti. Die Phylogenese der Spezies Ceratites tornquisti beginnt im unteren Illyrian in der Palaeotethys und endet im Longobardian im Thüringer Grenzdolomit als Chronospezies Ceratites schmidi. Die Klärung der bislang unbekannten Phylogenese der Spezies Ceratites tornquisti in den Lebensräumen Dobrudscha, Sardinien, Vicentin, Provence und Thüringen bleibt einer detaillierten Analyse vorbehalten.