Präparation und Restauration eines Krebses der Spezies Atherfieldastacus rapax aus dem Valanginium (Unterkeide) von Sachsenhagen

Als nebenberuflicher Fossilienpräparator bekomme ich ab und an Fossilien von längst erloschenen Fundstellen auf den Tisch. Eines Tages meldete sich ein Fossiliensammler bei mir, der früher die Möglichkeit zur Durchführung einer horizontierten Grabung in der Grube Sachsenhagen (Landkreis Schaumburg, Niedersachsen) gehabt hatte und noch zahlreiche Rohlinge besaß. In Schicht Nr. 100 (vgl. das Profil nach MUTTERLOSE, Abb. 5 in Arbeitskreis Paläontologie Hannover 2017) konnte er damals sehr gut erhaltene Zehnfußkrebse der Art Atherfieldastacus rapax (Harbort, 1905) bergen. Da die Art rapax ehemals zu den Gattungen Mecochirus bzw. Meyeria gestellt wurde, kennen manche Sammler sie noch unter diesen Gattungsnamen. Komplette Exemplare, also mit vollständigen Pereiopoden (verlängerte Schreitbeine) überlieferte Individuen, waren selbst hier eher die Ausnahme, denn meist liefen die Beine aus den Konkretionen heraus. Dank des Altmaterials kam es dazu, dass ich zahlreiche großartig erhaltene Individuen von Atherfieldastacus rapax präparieren durfte, darunter auch das Stück, das ich in diesem Bericht vorstellen möchte.

 

Die ehemalige Tongrube Sachsenhagen wurde bereits im Jahr 1991 von einer Ziegeleitongrube zur Hausmülldeponie umfunktioniert. Immerhin wurde für die Deponie auch später noch sporadisch Ton als Abdeckmaterial abgebaut. Wer nähere Informationen zur Lokalität, Stratigrafie und Fossilführung wünscht, kann sich all das in einer Publikation des Arbeitskreises Paläontologie Hannover mit dem Titel „Fossilien aus der ehemaligen Ziegeleitongrube Sachsenhagen“ anschauen.

 

Stratigrafie Sachsenhagen

Tab. 1: Stratigrafie des Profils Sachsenhagen. Das vorliegende Stück stammt aus der Konkretionslage Nr. 100. Quelle: APH (2007), verändert nach MUTTERLOSE (1984). Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung durch den Arbeitskreis Paläontologie Hannover.

 

Nachdem ich fast das ganze Kontingent an Rohlingen abgearbeitet hatte, verblieb noch eine allerletzte Konkretion in meinem Lager. Das hatte auch seinen Grund, denn dieser Rohling erschien zunächst nicht gerade vielversprechend. Aber „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt!“

 

Weiter geht es mit der Geschichte des äußerst spannenden Präparationsverlaufs:

 

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Abb. 1: Ich erhielt das Fossil in diesem Stadium der Anpräparation. Es waren bereits alle Teile der Konkretion zusammengesetzt worden und auf der im Bild rechts zu sehenden Seite war in dem Bereich gestichelt worden, wo das Telson (Schwanzfächer) zu erwarten wäre.

 

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Abb. 2: In der Mitte war eine Scherbe der Konkretion abgeschlagen worden und ein tieferer Einblick möglich. Hier konnte man bereits eine Pereiopode zu erkennen (blaue Markierung). Aufgrund der Lage und Ausrichtung innerhalb der Konkretion sowie der Querschnittsverjüngung konnte auf eine möglicherweise komplette Erhaltung der vorderen Körperhälfte des Krebses gehofft werden.

 

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Abb. 3: Jetzt aber kam das Manko! Auf diesem Bild erkennt man, dass unterhalb des Abdomens nach dem Schwanzfächer gesucht worden war, dieser aber nicht gefunden wurde (blauer Bereich). Der Blick durchs Binokular bestätigte leider, dass das Telson schlichtweg nicht vorhanden war.

 

Nun war guter Rat teuer! Sollte ich mich an eine aufwändige Präparation heranwagen? Aufgrund des langen Schreitbeins und der Tatsache, dass noch relativ viel Konkretion linksseitig übrig war, kam in mir der Verdacht auf, dass sich eventuell noch mehr als der nicht ganz vollständige Krebs im Gestein verbergen könnte! Auch deswegen fiel die Entscheidung, eine Präparation zu versuchen.

 

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Abb. 4: Diese anatomische Zeichnung einer Meyeria diente mir als Vorlage, Quelle: Oscar Gonzalez Leon (Universidad Nacional Autonoma de Mexico).


Nun galt es nach der anatomischen Vorlage jedes einzelne Segment des Krebses zu finden und freizulegen. Hierzu muss man wissen, dass es bei A. rapax einige Details gibt, die einem wirklich alles abfordern – Knackpunkte sind die Arbeiten an den Beinen, den Scheren und ganz besonders an den Antennen! Diese Feinarbeiten können nur unter dem Binokular erfolgreich durchgeführt werden. Die filigranen Arbeiten wurden weitgehend mit dem Druckluftstichel HW-80-3 ausgeführt, der ein Profitool für die Feinbearbeitung ist.

Das Abtragen der Matrix sollte bei der Präparation dieser Krebse äußerst streng flächig von oben nach unten erfolgen. Macht man es anders, stichelt man allzu leicht in den Krebs hinein und es gehen filigrane Teilstücke verloren, ohne dass man es auch nur bemerkt.

 

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Abb. 5: Wie erhofft, setzte sich der Krebs im Stein weiter fort und es offenbarten sich unglaublich lange Schreitbeine. Ganz anders als auf der Zeichnung der Meyeria magna (Abb. 4) und auch abweichend davon, wie ich es bisher sah.

 

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Abb. 6: Ansicht der beiden Scheren. Nach so vielen Präparaten war dieses Exemplar das einzige mit dermaßen langen Scherenfingern. Umso besser, denn meine Motivation, das Präparat weiter fortzuführen und auch fertigzustellen, bekam an dieser Stelle natürlich nochmals einen ordentlichen Schub!

 

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Abb. 7: Auf diesem Foto lässt sich erkennen, dass ich – bis auf das Telson – alle Körperpartien gefunden hatte: alle Beine, beide Scheren und sogar die Antennen! Alles lag schön im Verbund vor, nichts war verdriftet. Bis auf den Schönheitsfehler, weil der Krebs leider sein Telson nicht rechtzeitig vor der Konkretionsbildung zur Körpermitte hin eingezogen hatte, lag ein Topstück vor mir!

 

Nun stellte sich mir die Frage, ob ich das fehlende Telson komplettieren sollte. Nachdem ich noch einmal eine Nacht darüber geschlafen hatte, kam ich zu dem Entschluss, das Telson zu ergänzen.

 

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Abb. 8: Ich habe den Krebs daraufhin vermessen und von einer Exuvie eines Stücks vom selben Fundort einen passenden Fächer entnommen und transferiert. Da das Stück ohnehin in meiner Sammlung bleibt und ich auch irgendwie ein „Augenmensch“ bin, sollte das in Verbindung mit dem Hinweis und zusammen mit der vorliegenden Dokumentation der Ergänzung in Ordnung sein. Immerhin war der Krebs auch vor dem Ansetzen zu über 90 % vollständig überliefert.

 

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Abb. 9: Als nächstes führte ich einen Querbruch am linksseitigen Ende der Konkretion herbei: und siehe da – es kam ein weiteres Fossil zum Vorschein, genau wie ich es mir erhofft hatte! Die Form des Querbruchs ließ darauf schließen, dass es sich hierbei um einen Ammoniten handelt. Was für ein unglaubliches Glück, ich konnte es kaum fassen!

 

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Abb. 10: Die beiden Teile wurden wieder zusammengefügt und aufgrund des Querbruchs wusste ich nun auch, wie tief ich in die Konkretion einschneiden konnte, um die taube Matrix oberhalb des Fossils zu entfernen, ohne selbiges zu beschädigen.

 

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Abb. 11: Mittlerweile ließ sich der Ammonit gut als Vertreter der für das Valanginium von Sachsenhagen typischen Gattung Platylenticeras erkennen.

 

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Abb. 12: Nun konnten die Teile der Konkretion wieder vereint werden. Aufgrund der beachtlichen Gesamtlänge von 62 cm habe ich Stahlstifte zur Stabilisierung eingebaut und anschließend alles verklebt.

 

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Abb. 13: Dann wurde die Matrix eingeschliffen und letzte Feinarbeiten durchgeführt. Jetzt mussten nur noch die Klebenähte kaschiert und der Krebs mit einem transparenten Einlassmittel behandelt werden, wodurch dessen volle Schönheit erst so richtig zur Geltung kommt!

 

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Abb. 14: Detailansicht der Antennen. Wer die Anatomie der Art Atherfieldastacus rapax genau studiert hat, weiß um die Position der Ansatzstellen der beiden Antennen. Dieses Wissen hilft beim Lokalisieren während der Präparation enorm. Um nicht unvermittelt in die Antennen hinein zu präparieren, muss man auch beim Arbeiten unter dem Binokular unbedingt streng flächig Schicht für Schicht Gestein abtragen. Die Antennen geben sich beim Blick durchs Binokular als feine gestrichelte Linie zu erkennen, ähnlich einer Millimeterskala auf einem Lineal.

 

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Abb. 15: Blick auf die Scheren. Man muss sich immer vor Augen halten, dass wir es bei Krebsen mit beweglichen Körperteilen zu tun haben, die in unterschiedlicher Position fossil überliefert sein können. Die Schale ist zudem hauchdünn, weswegen man allzu schnell etwas beschädigt. Wer stur in einer Richtung arbeitet und immer tiefer und tiefer in die Matrix stichelt, ohne etwas zu finden, der kann schon einmal etwas nervös werden, bei der Frage, ob er alles richtig macht. In diesem Fall zum Beispiel ist der vordere Scherenfinger eingeklappt, wodurch beim Anlegen einer Grube in der direkten Fortsetzung des Propodus allzu leicht Verwirrung hätte aufkommen können.

 

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Abb. 16

 

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Abb. 17

 

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Abb. 18: Gesamtansicht des fertigen Präparats.

 

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Abb. 19: Der Atherfieldastacus ist zirka 42 cm lang.

 

Angaben zu den Fossilien im Überblick:

Zehnfußkrebs Atherfieldastacus rapax (Harbort, 1905)

Länge des Krebses max: 42 cm

Vergesellschaftet mit einem Ammoniten der Art Platylenticeras sp. (Durchmesser 8,5 cm)

Konkretionsmaße: maximal 65 x 20 cm

Stratigrafie: Unterkreide, Valanginium, Platylenticeras robustum-Zone

Absolutes Alter: Das Valanginium dauerte von vor 139,8 bis vor 132,6 Millionen Jahren (Quelle: International Chronostratigraphic Chart 2023 /04).

 

Die erhöhten Ränder der Konkretion sollen den Eindruck vermitteln, dass der Krebs immer noch in seiner Wohnröhre sitzt, auch wenn die Konkretionsform nur indirekt etwas mit dem Gangsystem zu tun hat. Und dazu komme ich jetzt:

 

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Abb. 20: Darstellung des Zehnfußkrebses Atherfieldastacus rapax in seinem Bau, in den auch das Gehäuse eines Ammoniten gelangte. Zeichnung: Sarah Clemens (Templin).

 

Der hier vorgestellte Zehnfußkrebs und die anderen von mir präparierten Exemplare vom selben Fundort waren alle von außergewöhnlich guter Erhaltung. Wie es dazu kam, dass die Krebse z. B. nicht von Aasfressern oder von der Strömungen zerlegt worden sind, veranschaulicht folgender Auszug des Sachsenhagen-Hefts des Arbeitskreises Paläontologie Hannover (2017, S. 52):

„[...]Nahe Lissabon wurden in Sedimenten, die intensiv von derartigen Grabgängen durchzogen waren, viele hundert hervorragend erhaltene Krebsfossilien nur dieser Art innerhalb der Gänge entdeckt und teilweise geborgen. Meyeria (Mechochirus) [Anm.: Atherfieldastacus] legte demnach zu Lebzeiten ein Röhrensystem im Sediment an, das er bewohnte. In seiner Röhre geschützt war der Krebs nach seinem Tod Wasserströmungen und Aasfressern nicht direkt ausgesetzt, was sich günstig auf die Überlieferung des Fossils ausgewirkt haben dürfte.[...]


Anschließend kam es zur Verfüllung der Gänge mit feinem Tonschlamm und die Konkretionsbildung setzte ein. Die Konkretion hat hierbei aber nicht die Form der Wohnröhre angenommen, sondern folgt vielmehr der Fossilform. Dass vorliegend auch noch ein Ammonit von der Konkretion umfasst ist, ist ein echter Glücksfall.

 

Die „Umbenennung“ von Meyeria rapax in Atherfieldastacus rapax wurde von Robin et al. (2016, siehe dort insbesondere S. 12) vorgeschlagen und begründet. González-Léon et al. (2017) stellten Erstnachweise für die Art Atherfieldastacus rapax aus Spanien vor und hatten auch Material aus Deutschland zur Verfügung, das ich ihnen zur Untersuchung vorgelegt hatte. Im Ergebnis bestätigten González-Léon et al. (2017) die im Jahr zuvor von Robin et al. vorgeschlagene neue systematische Stellung der Art rapax innerhalb der Gattung Atherfieldastacus.

 

Nun blicke ich etwas wehmütig auf die Präparation des „letzten Exemplars seiner Art“ in meinem Lager zurück. Mit der letzten Konkretion wird es das wohl gewesen sein. Zwar wird im Umfeld der Mülldeponie ab und an wegen Erweiterungsmaßnahmen noch Ton bewegt, aber nicht mehr in der die besten Krebse führenden Schicht 100. Somit wird das Rohmaterial immer seltener, eventuell kann man bei Sammlungsauflösungen noch ab und zu etwas Gescheites finden.

 

Verwendete Werkzeuge

Das Präparat wurde mit folgenden Werkzeugen bearbeitet:

- Druckluftpräparationshämmer von Hardy Winkler: HW-80-3, HW-70-3, HW-65, HW-90

- Dremel Multiflex

- Druckluftschleifer diverser Hersteller

- Binokular (10x Vergrößerung)

- Lupenbrillen in verschiedenen Ausführungen

 

Danksagung

Mein Dank gilt Herrn Lutz Kaecke (Hannover), denn ohne ihn wäre das alles nicht möglich gewesen. Außerdem danke ich dem Arbeitskreis Paläontologie Hannover für die Genehmigung die Auszüge aus dem Sachsenhagen-Spezialheft hier wiedergeben zu dürfen. Danken möchte ich ebenso auch Professor Oscar Gonzalez Leon (Universidad Nacional Autonoma de Mexico) für seine wissenschaftliche Hilfestellung sowie die Nutzungserlaubnis der Krebs-Skizze in Abb. 4. Herrn Alex Osso (Spanien) danke ich für die freundliche Vermittlung. Meine liebe Stieftochter Sarah Clemens (Templin) hat freundlicherweise die Zeichnung des Krebses in seiner Wohnröhre angefertigt, auch ihr danke ich herzlich.

 

Ich bedanke mich für Euer Interesse!

Axel Cordes (www.fossilcrabsandmore.de) für Steinkern.de

 

 

Literatur:

 

Arbeitskreis Paläontologie Hannover (2017): Fossilien aus der ehemaligen Ziegeleitongrube Sachsenhagen, Heft 1 & 2, S. 1–74. URL: https://www.ap-h.de/download/2017_1+2.pdf

 

Cohen, K.M. et al. (2013; aktualisiert) The ICS International Chronostratigraphic Chart. Episodes 36: 199-204. URL: https://www.stratigraphy.org/ICSchart/ChronostratChart2023-04.pdf

 

González-Léon (2017): Atherfieldastacus rapax (Harbort, 1905) (Glypheidae, Mecochiridae) from the Lower Cretaceous of the Maestrat Basin (NE Spain), in: Cretaceous Research 77, S. 56-68.

 

Robin, N. et al. (2016): Bivalves on mecochirid lobsters from the Aptian of the Isle of Wight: Snapshot on an Early Cretaceous palaeosymbiosis, in: Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, 453, 10.1016/j.palaeo.2016.03.025.

 

 


 

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