Überarbeitung eines historischen Caturiden-Fundes aus den Solnhofener Plattenkalken
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- Kategorie: Solnhofener Plattenkalke
- Veröffentlicht: Freitag, 28. Juli 2023 17:45
- Geschrieben von Udo Resch
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Am Montag, den 9. November 2020 traf bei mir eine E-Mail mit einem Link zu eBay ein. Zum Zeitpunkt des Lesens war diese schon mehrere Stunden alt. Neben dem Link war die Frage enthalten, ob der Fisch aus Solnhofen sei und ob es sich um eine seltenere Gattung handeln könne.
Also habe ich den Link angeklickt, den Fisch angeschaut, dann auf die Preisvorstellung geguckt und „sofort gekauft“. Im Anschluss wurde der Kollege, von dem der Link stammte, informiert, das das Stück „gesaved“ wurde und er selbstverständlich den Fisch haben könne.
Zwischenzeitlich meldete sich der Verkäufer und bot an, das Stück am kommenden Abend vorbeizubringen, er wäre dann zufällig in der Nähe. Das war sehr praktisch, da er im Angebot geschrieben hatte, dass ein Versand mit erheblichen Risiken verbunden sei, da das Fossil den Transport möglicherweise nicht „überleben“ würde, zumal der Rahmen Abmessungen von ca. 63 x 35 cm hat.
Am Dienstagabend dann kam das Stück. Ein ausgesprochen netter Herr brachte es vorbei. Er berichtete auch von einigem „Tamtam“, welches das Stück ausgelöst habe.
Nachdem er gegangen war, wurden erste Bilder gemacht, diese an den Kollegen geschickt und dann telefoniert. Ist „nicht so seins“, ziemlich kaputt, so viele Substanzverluste dass man ihn nicht umdrehen kann – ich durfte ihn behalten. Dafür an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank!
Bestandsaufnahme
Es handelt sich um ein altes Stück in einem Eichenholzrahmen, vermutlich um 1900 bis 1920 und nicht wirklich eine Schönheit. Eigentlich ist es kein Rahmen, sondern eine Kiste, denn er ist hinten versiegelt. Befremdlich wirkt die Öse zum Aufhängen, denn sie sitzt an der schmalen Seite und zwar bei der Schwanzflosse.
Der Rahmen ist tatsächlich so groß wie es angegeben wurde - man erlebt ja immer mal wieder spannende Dinge bei den Größenangaben im Internet. Der Fisch selbst ist etwa 42 cm lang.
Abb. 1: Foto vergrößern.
Abb. 2
Es handelte sich ursprünglich um ein „Spaltfossil“, d. h. das Fossil wurde aufgespalten und dann mussten Teile wieder auf die Trägerplatte aufgeklebt werden. Das erklärt auch das „wilde“ Aussehen der Platte.
Kopf:
Aufgespalten, Kiefer kaputt, ein paar Zähne lassen sich erahnen. Die Schlundleisten sind beschädigt und unvollständig.
Abb. 3
Brustflosse:
Eine Katastrophe, etwa 50 % fehlen, Scherben wieder aufgeklebt und mit irgendetwas „ummauert“.
Abb. 4
Rückenflosse:
Leider völlig „zerfusselt“ und ebenfalls wieder aufgeklebt.
Abb. 5
Schwanzflosse:
Unvollständig und auch wieder aufgeklebt. Die Scherbe liegt lose auf und wird nur durch im Rahmen verarbeiteten Fensterkitt in ihrer Position gehalten. Der Kitt war notwendig, da die Platte mehrere Ebenen hat. Damit das Stück im Rahmen sauber liegt, wurde mit Kitt nivelliert. Die Schwanzflossenwurzel weist eine ca. 1 cm breite Fehlstelle auf.
Abb. 6
Genitalflosse:
Die Genitalflosse liegt wo sie hingehört, ist sogar artikuliert, aber leider unvollständig
Abb. 7
Afterflosse:
Die Afterflosse ist unvollständig und partiell auf den Körper umgeschlagen.
Abb. 8
Was tun?
Das Ganze ist so verstaubt und vor allem so marode, dass es zur Überarbeitung aus dem Rahmen entnommen werden muss. Und wenn der Fisch dann schon einmal draußen ist, kann er im Zuge der „Renovierung“ auch gleich nachgearbeitet werden. Was alles gemacht wird, entscheidet sich mit dem Fortgang der Arbeiten, insgesamt entwickelten diese sich fast eher zu einer „Kernsanierung“ als zu einer „Renovierung“.
Es geht ans Werk. Erst einmal muss der Fisch aus dem Rahmen entnommen werden. Dafür wird ein Tisch mit einer Decke belegt, die doppelt gefaltet wurde, so dass vier Lagen ein ordentliches Polster bilden. Es kann ja sein, dass der Stein sich beim Ausrahmen weiter zerlegt – in diesem Fall sollen die Teile wenigstens weich zu liegen kommen.
Abb. 9–11
Vorsichtig geht es los. Mit einem scharf zugeschliffenen Schraubenzieher wird der Deckel auf der Rückseite des Rahmens Nagel für Nagel gelöst.
Abb. 12
Dann der spannende Moment: Meine Hoffnung, dass sich im Inneren vielleicht alte Zeitung befindet, die eine genauere zeitliche Einordnung erlaubt, erfüllt sich leider nicht. Dort ist nichts als Holzwolle. Was man aber sieht, sind die Schraubenlöcher von zwei Aufhängern. Der Fisch hatte auch schon einmal richtig gehangen.
Abb. 13
Also ´raus mit der Holzwolle. Diese wurde jedoch nicht entsorgt, sondern beiseite gelegt, da sie am Ende der Generalüberholung des Fisches wieder zurück in den Rahmen soll. Nach dem Entnehmen zeigt sich, dass die Platte nicht allein durch Kitt und Holzwolle am Platz gehalten wurde, sondern auch durch viele kleine eingeleimte Holzkeile. Und es wird klar, dass es sich um einen Fund aus einer festen Fäule handelt. Außerdem lässt sich anhand der Lithologie nun klar feststellen, dass der Stein aus dem Eichstätter Bruchrevier kommt.
Abb. 14
Abb. 15
Nun wird der Staubsauger für das Entfernen des Kleinzeugs bemüht und siehe da, es finden sich doch noch ein paar Informationen:
Abb. 16
Mit Bleistift steht auf der Platte geschrieben „15 Mark“. Dies erlaubt einen zeitlichen Rahmen von 1871, da wurde die Mark eingeführt, bis 1924, als sie durch die Reichsmark abgelöst wurde, festzulegen. Wäre das Stück aus der Zeit ab 1924, hätte das Währungskürzel RM lauten müssen. Auch die Rentenmark, eine Übergangswährung, kommt nicht in Frage. Hier lautet das Kürzel Rent M. Und der Preis von 15 Mark bezieht sich wohl auf das Fossil, nicht auf den Rahmen, schließlich wird die „Büchse“ ja zugemacht und ein Preis den man nicht lesen kann, der nützt ja „nix“.
Auf dem Rahmen, ebenfalls mit Bleistift geschrieben, steht Zintgrat oder Kintgrat, möglicherweise ein Eigenname.
Abb. 17
Aufgrund des Stils der Schrift, der Währung und des Rahmens würde ich das Stück in die Zeit um 1915-1920 verorten. Der notierte Preis von 15 Mark deutet jedoch darauf hin, dass das Stück vermutlich aus der Zeit vor oder aus den Anfangstagen der großen Inflation (1914-1923) stammt.
Die Notizen wurden sicherheitshalber fotografisch dokumentiert, da sie die nachfolgenden Prozeduren vielleicht nicht unbeschadet überstehen würden.
Jetzt werden an drei Seiten die Keile vorsichtig einer nach dem anderen herausgespalten. Dies muss immer mit seitlichen Schlägen geschehen, um Druckbelastungen von oben auf die Platte zu vermeiden. Glücklicherweise sind die Keile nur am Rahmen verleimt und nicht auch noch auf dem Gestein.
Abb. 18
Dann ist der Fisch endlich draußen und kann vorsichtig umgedreht werden. Lose Teile werden sofort an die Stellen gelegt, wo sie wieder angefügt werden müssen.
Abb. 19: Foto vergrößern.
Mindestens eine Ecke wird aber angebaut werden müssen, denn sonst könnte in der Platte ein Loch bleiben, das man auch im Rahmen sieht.
Abb. 20
Einfach mal die Schwanzflosse ausschneiden, um die Platte mit der Schauseite nahezu komplett auf eine Ebene zu bekommen funktioniert nicht, denn da fehlt einiges an Unterbau.
Abb. 21
Insgesamt ist der Brocken recht klapperig. Wenn man ihn zwischen zwei Fingern hält und anklopft, da klingt er nicht, sondern er scheppert. Dies ist vermutlich durch das Zwicken bedingt und dadurch, dass es eben kein Kernstein ist, sondern auch hohe Fäulenanteile vorhanden sind. Damit verbunden sind viele Fugen, Risse und Spalten. Demzufolge ist der Stein „durstig wie eine übersalzene Ziege“. Der Inhalt der ersten 50g-Flasche Sekundenkleber neigt sich bereits zu diesem Zeitpunkt dem Ende entgegen.
Abb. 22
Nachdem der Stein überall gesichert ist, werden die dünnen bruchgefährdeten Partien der Platte mit ausgesiebtem Präparationssplitt und Sekundenkleber „aufgefüttert“. Mit abgebrochenen Stücken wird in gleicher Weise verfahren.
Abb. 23
Abb. 24
Dann wird mal ein bisschen am Schädel gestochert. Da geht noch ´was! Zahnansätze zeigen sich und der rechte Unterkiefer kommt zum Vorschein.
Abb. 25
Die erste Entscheidung fällt. Die über dem Fisch wieder aufgesetzte Platte muss weg. Mit einer ganz kleinen Diamantscheibe werden die entsprechenden Schnitte hinter dem Kopf und um die zerfranste Rückenflosse gesetzt. Glücklicherweise standen damals nicht die heutigen Klebstoffe zur Verfügung, sodass sich das Stück nach dem Trennen mit der Diamantscheibe problemlos als Ganzes auf der Klebung wegspalten lässt.
Abb. 26
Abb. 27
Nachdem die Platte runter ist, muss der Fisch „zu Wasser gelassen werden“. Die Platte sieht so gruselig aus, dass sich sogar die Kamera „weigerte“ diese richtig scharf zu stellen.
Abb. 28
Der Staub der Jahrzehnte muss runter! Das Bad erfolgte nicht ohne, dass das Fossil vorher hinreichend fixiert wurde.
Nach der Vollwäsche sieht das Ganze schon besser aus. Die dunklen Streifen vom Kitten wurden absichtlich belassen, um den Charakter eines alten Stücks zu wahren. Was noch zu bemerken ist: Die Kleberreste sind von der Platte verschwunden. Dafür gibt es zwei mögliche Erlärungen:
A) der Kleber war wasserlöslich oder
B) die Steine wurden vor den Verklebungen nicht gewaschen, so dass der Kleister auf einer dünnen Lehmschicht haftete und so leicht abgewaschen werden konnte.
Abb. 29
Die nächste Entscheidung steht an. Da die erste Platte fallen musste, wird auch die Schwanzflosse ausgeschnitten und auf einen Sockel gelegt. Nachdem das passiert ist, wird sie lose aufgelegt, um zu ermitteln, was an Unterbau fehlt.
Alle abgetrennten Steine werden erst einmal aufgehoben, um sie als mögliche Ansetzsteine verwenden zu können. So hat man wenigstens alles vom originalen Einbettungsgestein
Abb. 30
Im Anschluss wird die Schwanzflosse wieder dort aufgeklebt, wo sie hingehört.
Abb. 31
Abb. 32
Dann geht es daran, ihr den „Unterbau“ zu schaffen. Hierfür wird der Schneideabfall von der Schwanzflosse hergenommen und eingekürzt, um diesen passend ansetzen zu können. Im Anschluss geht auch dieses Stück in die Wäsche.
Abb. 33
Das so entstandene Teil wird, nachdem alles wieder trocken ist, zuerst mit Sekundenkleber angeklebt, dabei vorsichtig ausnivelliert und anschließend wird die ganze Platte umgedreht und mit gesiebtem Präparationssplitt stabilisiert.
Abb. 34
Nachfolgend muss der Anbau von oben her mit der Flossenspitze verbunden werden. Auch dies geschieht mittels Splitt und Sekundenkleber.
Dann werden die Maße des Rahmens übertragen und der angesetzte Stein den Anzeichnungen entsprechend etwas eingekürzt.
Abb. 35
Abb. 36
Anschließend heißt es noch schnell die weiter oben schon erwähnte Ecke daran zu zaubern und zu formatieren, bevor rückseitig alles mit Splitt unterfüttert wird.
Wir sind zwischenzeitlich bei der dritten Pulle Kleber angekommen, aber es hat sich gelohnt, denn die Platte ist jetzt im Ergebnis stabil.
Abb. 37
Es steht noch eine Entscheidung an, diesmal die Restauration betreffend. Es wird restauriert, aber nicht bis zum Anschlag, sondern nur soviel, dass das Fossil optisch beruhigt wird. Die Arbeiten dürfen bzw. sollen sogar sichtbar sein. Es ist ein historisches Stück und das darf es auch bleiben.
An den Schlundleisten am Kopf fehlen etwa 5 mm. Die Brustflosse braucht etwa 1,5 cm, wie man an der Beule ablesen kann. Die Afterflosse ist völlig falsch angezeichnet. Dort fehlen nur Millimeter.
Abb. 38
Abb. 39
Abb. 40
Aufgebaut wird mit einer Mischung aus Akemi und Steinmehl, Letzeres wurde beigemengt um den Kleber etwas anzufärben und gleichzeitig anzudicken.
Abb. 41
Abb. 42
Am unteren Lobus der Schwanzflosse befindet sich eine Erhebung, die anzeigt, wie viel fehlt. Die Flosse wird der Erhebung folgend aufgebaut.
Abb. 43
Zwar nimmt die Sache langsam Formen an, das Stück sieht aber aufgrund doch noch einiger „Baustellen“ weiterhin eher gruselig aus.
Abb. 44
Zunächst wird noch die Fuge am Unterbau der Schwanzflosse geschlossen, bevor es an die Modellierarbeiten geht.
Abb. 45
Jetzt kann damit begonnen werden die Restaurationen zu schleifen, zu fräsen und zu schneiden sowie die Kanten um den Fisch zu setzen.
Abb. 46
Abb. 47
Abb. 48
Abb. 49
Kurz vor Schluss geht es noch einmal an den Kopf. Es wird noch etwas vom Schädeldach freigelegt und es werden ein paar „Zähne geputzt“. Dann ist der Fisch soweit fertig.
Abb. 50
Abb. 51
Nun wird mit Aceton und einer weichen Zahnbürste die anfänglich zum Schutz während der Arbeit aufgebrachte Versiegelung angelöst und sofort mit einem Tuch weggetupft. So hält die Substanz, aber anhaftender Staub lässt sichnoch weiter entfernen. Danach kann man neu versiegeln und der Fisch hat jetzt wieder seine Eigenfarbe, anstelle des „Staubgraus“.
Mit Buntstiften werden nachfolgend die Restaurationen farblich etwas angepasst und dann kann er schließlich ´raus aus der Werkstatt.
Abb. 52
Vorsichtig kommt er wieder in seinen Rahmen, allerdings ohne dass erneut Keile eingeleimt werden. Stattdessen kommen Stahlnägel zur Sicherung zum Einsatz. Dann kommt die gute alte Holzwolle wieder rückseitig in den Rahmen hinein und abschließend der Deckel darauf.
Abb. 53
Abb. 54
Am Ende sieht der Fisch dann doch ganz manierlich aus:
Abb. 55: Der 42 cm große Fisch ist nach vollendeter Überarbeitung zurück im Rahmen. Foto vergrößern.
Abb. 56: Foto vergrößern.
Abb. 57: Foto vergrößern.
Bestimmung?
Abschließend stellt sich noch die Frage, was für ein Fisch es denn eigentlich ist. Die sehr kleinen Schuppen deuten an, dass es sich nicht um die Gattung Caturus handelt. Hier wären die Schuppen beinahe 3 bis 4 viermal so groß zu erwarten.
Leider ist der Schädel ziemlich hinüber, aber die kräftige Bezahnung und die Stellung der Flossen inklusive der Schwanzflosse mit ihren ungleich langen Loben geben Hinweise in eine bestimmte Richtung – für eine sichere Zuordnung zur innerhalb der Caturidae angesiedelten Gattung Amblysemius reicht dies aber leider nicht aus.
So muss es bei der Festellung bleiben: Es ist ein unbestimmter Knochenganoide aus der Formengruppe der Caturiden – allerdings, das als kleines Bonbon, eine wohl seltenere Form.
Mein Dank an dieser Stelle gilt Helmut Tischlinger für die fruchtbaren Stellungnahmen.
Angaben zum Fossil im Überblick:
Fossil: Unbestimmter Knochenganoide
Fundort: Eichstätter Bruchrevier
Größe: ca. 42 cm
Sammlung: Privat
Zeitaufwand für die Überarbeitung: ca. 13 Stunden
Fotos und Bericht: Udo Resch für Steinkern.de
Diskussion zum Artikel im Steinkern.de Forum: https://forum.steinkern.de/viewtopic.php?f=3&t=36745