Bayern

Forschungsergebnisse in Gräfenberg

Liebe Steinkerne,

seit Sommer 2004 dokumentiere ich die Schichten des Malm Beta bis unteren Gamma 2 im Steinbruch Gräfenberg (Gräfix/Endress). In dieser Abhandlung möchte ich in unregelmäßiger Abfolge neue Erkenntnisse zur Ammonitenstratigraphie und zu besonderen Funden einstellen. Dieser Thread ist in erster Linie für Spezialisten und Malm-Ammo-Freaks gedacht. Aber natürlich sind auch alle anderen Interessierten herzlich eingeladen, immer mal wieder einen Blick in diese Dokumentation zu werfen. Die Auswahl der abgebildeten Ammoniten erfolgt rein nach wissenschaftlichen Kriterien, Qualität und Präparation spielen in der Regel nur eine untergeordnete Rolle.
Sämtliches abgebildetes Material wird in meiner Sammlung aufbewahrt und kann dort eingesehen werden.

Letzte Aktualisierung: 8. Mai 2011

Graefenberg.jpg
Rücken eines großen Ammoniten aus der Malm Gamma-Bank 2.

Avant propos:

A Sammeln in Gräfenberg

Das Betreten des Steinbruchs und das Sammeln ist ohne Genehmigung verboten. Eine Erlaubnis erhalten in der Regel Sammlergruppen auf Anfrage, die am besten schriftlich erfolgt. Es ist im voraus eine pauschale Sammelgebühr zu entrichten, unabhängig von der Zahl der Teilnehmer. Die Genehmigung wird dem verantworlichen Exkursionsleiter (beziehungsweise der verantwortlichen Exkursionsleiterin) zugeschickt und ist im Falle einer Kontrolle vorzuzeigen. Einzelsammler, die sich ohne Erlaubnis hineinschleichen, düpieren damit die legalen Sammler, die ja für ihren Sammlertag zur Kasse gebeten werden.

B Danksagungen

Für das Überlassen wissenschaftlich interessanter Ammoniten möchte mich bei meinen Sammlerkollegen und -freunden Werner Hernus, Wolfgang Dietz, Michael Dittert, Joachim Strick, Olaf Neubauer, Walter Albrecht, Hans Schenk sowie Brigitte und Klaus Steiner recht herzlich bedanken.

C Eigene Veröffentlichungen

Da ich in diesem Thread viele Themen anreißen, aber nicht alle bis ins letzte Detail behandeln kann, gebe ich eine Liste meiner Veröffentlichungen an, die sich mit dem jeweiligen Thema beschäftigen. Eine allgemeine Literaturliste werde ich am Ende der Abhandlung beigefügen.

1. Publikationen über Gräfenberg (Endress)


Schlampp, v. (2008): Der Malm gamma 1 in Gräfenberg. - www.leitfossil.de - Fundestellen, 15.7.2008

Schlampp, V. (2008): Schneidia mit Ohr. - www.steinkern.de - Funde aus dem Oberjura (Malm), 21.11.2009

Schlampp, V. (2009): Drei schöne Fosslien aus Gräfenberg.- www.leitfossil.de - Funde, 8.3.2009

Schlampp, V. (2009): Ein ungewöhnliches Lithacosphinctes. - www.steinkern.de - 24.3.2009

Schlampp, V. (2009): Zweimal Lithacosphinctes aff. stromeri (Wegele). - www.steinkern.de - Funde aus dem Oberjura (Malm), 17.4.2009

Schlampp V. (2009): Zwei Superfunde aus  dem Weißjura gamma von Gräfenberg - www.leitfossil.de - Funde, 16.7.2009

Schlampp, V. (2009): Vom Individuum zur Spezies: Grundlagen der Chronostratigraphie.- www.steinkern.de - Funde aus dem Oberjura (Malm), 29.5.2009

Schlampp, V. (2009): Ein Lithacosphinctes fast vom Feinsten.- www.leitfossil.de - Funde, 3,9, 2009

Schlampp, V. (2009a): Oxydiscites und Cymaceras (Ammonoidea, Phlycticeratinae SPATH) aus dem Malm Gamma 1 und 2 von Gräfenberg.- Der Aufschluss 60, S. 203 - 210, 15 Abb., Heidelberg

Schlampp, V. (2009b): Neue Banknummerierung für den Malm Gamma 1 im Steinbruch Gräfenberg.- Der Aufschluss 60, S. 335 - 344, 16. Abb., Heidelberg


2. Andere Publikationen

Schlampp, V. (2000): Neue Erkenntnisse über die Gattung Subdiscosphinctes MALINOWSKA 1972 im Malm Beta und Gamma (Oberes Oxfordium und Unteres Kimmeridgium).- Der Aufschluss 51, S. 275 - 280, 8 Abb., Heidelberg

Schlampp, V. (2006): Einführung zu den Exkursionspunkten der VFMG-Sommertagung 2006 in Altdorf. - Der Aufschluss 57, S. 195 - 236, 69 Abb., Heidelberg

Schlampp, V. (2007): Neues über den Paraspidoceras mamillanum.- www.steinkern.de -  Funde aus dem Oberjura (Malm), 24.6.2007

Schlampp, V. (2008): Einführung in die Bestimmung von Oberjura-Ammoniten.- www.steinkern.de - 20.8.2008

Schlampp, V. (2008): Beitrag zur Kenntnis der Gattung Graefenbergites aus dem Oberjura der Fränkischen Alb.- Der Aufschluss 59, S. 367 - 372, 10 Abb., Heidelberg

D Vorgehensweise

Alle meine Vorschläge zur Ammonitenbestimmung und zur Schichtunterscheidung (vergl. Schlampp 2009b) in Gräfenberg sind nicht allgemein verbindlich. Es muss jedem Sammler bewusst sein, dass die Einordnung ausgestorbener Tier- und Pflanzengruppen in ein biologisches Artschema niemals mit letzter Sicherheit erfolgen kann. Was man jedoch von einem seriösen Bearbeiter verlangen kann, sind meiner Meinung nach folgende Punkte:

1. Für Aussagen über verschiedene Ammonitengattungen und -arten brauche ich horizontiert aufgesammeltes Material und hohe Fallzahlen (= bestimmbare Einzelstücke).

2. Ich muss die Ammoniten nicht nur mit älteren und jüngeren Formen aus der unmittelbaren Gegend des Steinbruches vergleichen, sondern auch mit denen benachbarter Faunenprovinzen. Im Falle von Gräfenberg sind dies vor allem die Schweiz, Polen, Frankreich, Spanien, Italien, Portugal, Sizilien und Südengland.

3. Die Wissenschaftssprache der meisten Publikationen ist englisch. Viele wichtige Arbeiten sind zudem auf französisch, italienisch und spanisch veröffentlicht. Wenn ich über Oberjuraammoniten arbeiten möchte, muss ich entsprechende Publikationen lesen und in Grundzügen verstehen können. Das große oder kleine Latinum ist ein gutes Rüstzeug dafür.

4. Beim Aufstellen neuer oder dem Einziehen alter Arten ist ein Studium der entsprechenden Quellenliteratur unabdingbar. Dies ist keine Kniefieselei, sondern die Grundlage jeden wissenschaftlichen Arbeitens.

5. Hypothesen in der Paläontologie haben nur dann einen wirklichen Sinn, wenn sie durch Belege unterfüttert werden können. Jede Hypothese muss jedoch damit rechnen, durch Neufunde widerlegt zu werden.

6. Paläontologie ist keine Glaubenssache, sondern rationale Forschungstätigkeit. Emotionen dürfen sein, aber, wenn eine Idee an der Wirklichkeit scheitert, muss man das auch so akzeptieren.

E Bestimmung

Bei den Begriffen wie "Gattung" oder "Art" geht es in keinem Fall um biologische Verwandtschaftsverhältnisse. Es werden dabei lediglich drei Annahmen für wahrscheinlich erachtet:

1. Ammoniten innerhalb eines Faunenhorizontes werden als annähernd zeitgleich lebend betrachtet, insofern die Ablagerungsverhältnisse auf eine im wesentlichen ungestörte Einlagerung der Schalen hinweisen. Auch bei skulpturellen Unterschieden hinsichtlich der Art der Berippung, der Nabelweite, des Windungsquerschnitts o.Ä, werden alle Ammoniten eines Faunenhorizontes als eine sogenannte Chronospezies betrachtet, wenn innerhalb der Gruppe alle Merkmalsübergänge vorhanden sind und keine in irgendeiner Art zu trennenden Varianten festgestellt werden können. Es spricht mehr dafür als dagegen, dass eine solche Gruppe auch die Variationsbreite einer biologischen Art darstellt. Welche Reichweite diese Art in ältere oder jüngere Schichten hat, bleibt jedoch Spekulation.

2. Formen, bei denen sich größer- und kleinerwüchsige Exemplare nur durch Endgröße und die Skulptur der äußeren Windungen unterscheiden lassen, werden als Geschlechter einer einzigen Biospezies gesehen. Dabei ist es unerheblich, ob die größeren die Männchen oder die Weibchen gewesen sind. Ohne einen Beweis werden die kleinerwüchsigen Formen (= Mikrokonche) als Männchen und die größerwüchsigen (= Weibchen) als Makrokonche definiert.

3. Auch wenn in jüngeren Schichten immer wieder Formen vorkommen, die von älteren nicht oder nur sehr schwer zu unterscheiden sind, geht der chronostratigraphische Artbegriff immer vom Faunenhorizont aus. Ändert sich die Zusammensetzung der Morphen hin zu einem neuen "Kerntypus" der in der älteren Schicht nicht oder nur äußerst selten vorkommt, so wird jenseits biologischer Sinnhaftigkeit eine neue Gattung oder Art definiert. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass etwa alle sogenannten konservativen Perisphincten des Oberjura vom Malm Alpha bis zum Zeta nur morphologische Abwandlung einer einzigen Biospezies gewesen sind. Dies wird jedoch wohl für immer eine reine Spekulation bleiben.


F These

Meine These für Gräfenberg: Mit typischen Leitformen und unverwechselbaren Leithorizonten ist es möglich, fast alle Ammoniten auch ohne genaue Kenntnis der Fundschicht bestimmten Schichten zuzuordnen, wenn die Variationsbreite der entsprechenden Chronospezies bekannt ist. Jenseits skulptureller Veränderungen bei den "Arten" im Laufe der Evolution sind für mich drei Phänomene erstaunlich:

1. Das Auftreten exotischer Formen in bestimmten Schichten, die ich mir nur durch Zuwanderung oder erhebliche Schichtlücken erklären kann.

2. Eine Gehäusereduzierung bei bestimmten Gruppen, gepaart mit dem Rückgriff auf archaische (einfache) Rippenmuster.

3. Die ungleiche Verteilung von Jugendformen makro-und mikrokoncher Partner in einem Fundhorizont. Beispiel Gräfenberg: Von der makrokonchen Form Physodoceras circumspinosum werden relativ viele kleinwüchsige Formen mit kompletter Wohnkammer gefunden, die als Jugendformen gedeutet werden können. Die korrespondierenden Männchen (= Mikrokonche), Sutneria platynota, sind nach meinen Beobachtungen immer mit der Endwohnkammer und häufig sogar mit der Apophyse überliefert. Eine Jugendform wäre daran erkennbar, dass sie die feine Berippung der Innenwindungen auch auf der Wohnkammer hätte, die zudem keine Knoten und keine Egredierung aufweisen dürfte und mit einer kleinen Ausbuchtung, keinesfalls jedoch mit einem Ohr, enden dürfte.

Doch nun zurück zum Steinbruch Gräfenberg (Endress)

Themenbereich 1  Stratigraphie allgemein

1.1. Grundlagen

Der Steinbruch Endress (Gräfix) erschließt aktuell (Herbst 2009) Kalke und Mergel des mittleren Malm Beta (Planula-Zone) bis zum Delta 3 (Eudoxus-Zone). Für die Sammler interessant sind vor allem die Schichten des unteren Gamma 1 (Platynota-Zone). Die betreffenden Leitammoniten Subnebrodites planula (Hehl), Sutneria platynota (Reinecke) und Aulacostephanus cf. eudoxus (Orbigny) liegen mir vor.

Die Unterscheidung der Schichten erfolgt nach der bewährten Quenstedtschen Gliederung. Damit soll den Sammlerinnen und Sammlern eine Verwirrung, wie sie durch die internationale Gliederung mit dem neuen "Überkimmeridgium" unvermeidbar wäre, erspart bleiben. Wenn ich gelegentlich in Klammern eine Übertragung in die neue interationale Gliederung einfüge, verlasse ich bewusst den Boden wissenschaftlichen Arbeitens, um mit zugegeben bissiger Übertreibung die Konsequenzen aufzuzeigen und darzustellen, wie unendlich einfach alles mit Quenstedt ist)

Update 9. April 2011

Themenbereich 1: Neue Banknummerierung im Gamma 1 und Gamma 2

Die oberste Bank des Malm Beta 2 kann durch das Auftreten der Leitform Sutneria galar (Oppel) eindeutig indentifiziert werden. Darüber folgen fünf Bänke (Gamma Bank 1 bis Gamma Bank 5), die in den unteren Gamma 1 (Platynota-Zone, Polygaratus-Subzone) zu stellen sind, zwei Bänke (Gamma Bank 6 und Gamma Bank 7), die den mittleren Gamma 1 (Platynota-Zone, Desmoides-Subzone) repräsentieren. Weiter geht es mit vier Bänken (Gamma Bank 8 bis 11), die den oberen Gamma 1 (Platynota-Zone, Guilherandense-Subzone) repräsentieren. Den Leitammoniten des Gamma 1, Sutneria platynota (Reinecke) konnte ich bisher aus den Bänken 6, 7, 8, 9 sowie vermutlich 11 herausschlagen. In der Bank 12 ist er mir noch nicht untergekommen, merkwürdigerweise auch noch nicht aus dem unteren Gamma 1. Hier dürfte wohl eine Sammellücke existieren.

Cymaceras guembeli (Oppel) scheint auf den unteren und mittleren Teil der Bank 14 beschränkt zu sein, Cymaceras perundatum (Wegele) auf den oberen Teil der gleichen Bank. Hier liegt möglicherweise ein Kondensationshorizont vor.

Bei der Gruppe der Ataxioceratinae dominiert im unteren Malm Gamma 1 das Dimorphenpaar Orthosphinctes polygyratus (m) -  Lithacosphinctes evolutus (M), in der Gamma Bank 6 das Dimorphenpaar Ardescia enayi (m) - Lithacospinctes pseudoachilles (M), in der Gamma Bank 7 das Dimorphenpaar Ardescia proinconidita (m) - Lithacosphinctes stromeri (M), in der Gamma Bank 8 das Dimorphenpaar Parataxioceras schaireri (m) - Ataxioceras striatellum (M), in der Gamma Bank 9 das Dimorphenpaar Parataxioceras paraboliferum (m) - Ataxioceras rupiphilum (M). Für die Bänke 10 und 11 liegt mir noch zuwenig Material vor. In der Bank 12 dominiert das Paar Parataxioceras pseudolothari (m) - Ataxioceras cf. suberinum (M)
 
Bei den Artbezeichnungen bin ich nach dem charakteristischen Aussehen der Formen gegangen. Würde man von der namengebenden Art ausgehen, sähe die Unterteilung folgendermaßen aus:
Gamma Bank 6: Ardescia desmoides var. enayi (m) - Lithacospinctes pseudoachilles morf. pseudoachilles (M)
Gamma Bank 7: Ardescia desmoides var. proincondita (m) - Lithacosphinctes pseudoachilles morf. stromeri (M)
Gamma Bank 8: Parataxioceras guilherandense morf. schaireri (m) - Ataxioceras striatellum morf. striatellum (M)
Gamma Bank 9: Parataxioceras guilherandense morf. paraboliferum (m) - Ataxioceras striatellum morf. rupiphilum (M)
Gamma Bank 12: Parataxioceras lothari morf. pseudolothari (m) - Ataxioceras cf. suberinum (M)

Anmerkungen:

Ardescia desmoides ist mit den beiden Morphotypen desmoides quenstedti (in Gamma Bank 6) und desmoides desmoides (in Gamma Bank 7) nur äußerst untergeordnet vertreten. Wensentlich häufiger treten die Morphospezies desmoides enayi (in Gamma Bank 6) sowie desmoides proincondita (in Gamma Bank 7) auf.
Die Variationsbreite meines Materials aus der Gamma Bank 8 legt nahe, dass es sich bei Ardescia schairei und Schneidia guilherandense um die Variationsbreite einer Chronospezies handelt. Ich halte es daher für sinnvoll, Ardescia schaireri zu Parataxioceras zu stellen, zumal die Makrokonche bereits echte Ataxioceraten sind. Die Untergattung Schneidia kann als jüngeres Synonym von Parataxioceras eingezogen werden.
Parataxioceras paraboliferum Geyer ist vermutlich das Gleiche, was Atrops unter Ardescia schaireri beschrieben hat. Da ich das genaue Lager des Holotypus von Geyer nocht nicht gesehen habe - das Original stammt aus Hartmannshof und liegt in der Bayerischen Staatssammlung in München - lasse ich ersteinmal die Namen guilherandense und schaireri stehen.
In der Gamma Bank erlebt Parataxioceras schaireri eine gingantische Formenexplosion. Dies gilt auch für die makrokonchen Formen. Es ist mir derzeit unmöglich, bei den mikro- und makrokonchen Formen jeweils eine verbindliche, charakteristische Art festzulegen. Die häufigsten in deiser Bank vorkommenden makrokonchen Formen lassen sich am besten mit Ataxioceras rupiphilum Schneid vergleichen.




Themenbereich 2: Der Malm Beta

Der Malm Beta (= oberer Teil der unteren Hälfte des Unterkimmeridgiums )

Vom Malm Beta sind nur die ewa obersten drei Meter erschlossen. Die Steinbruchsohle ( = oberer Bereich des oberen Teils der unteren Hälfte des Unterkimmeridgiums) liegt vermutlich im oberen Malm Beta 1 (= Planula-Zone, Schroederi-Horizont). Dieser ist durch häufige Auftreten der kleinwüchsigen Arten Subnebrodites (Praeataxioceras) minutus und Subnebrodites (Subnebrodites) schroederi gekennzeichnet. Vermutlich handelt es sich um ein dimorphes Paar, wobei die Untergattung Praeataxioceras für die Mikrokonche reserviert ist. Da diese kleinwüchsigen Formen auch im tieferen und höheren Beta vorkommen, wäre es auch denkbar, dass beide nur kleinwüchsige Varianten des Dimorphenpaares Subnebrodites (Praeataxiocras) laxevolutus (m) und Subnebrodites (Subnebrodites) planula.

 



Exkurs 1: Praeataxioceras und Subnebrodites

Die Verwendung der Gattungsbezeichnung Praeataxioceras ist umstritten. Folgende Deutungen sind möglich:

1. Man erhebt sie in den Gattungsrang und kennzeichnet damit die ältesten Veretreter der Subnebroditen. Dies wäre dann beispielsweise das dimorphe Paar Praeataxioceras virgulatus (m) und Praeataxioceras suevicum (M) aus dem oberen Malm Alpha 3 (Bimammatum-Zone, Bimammatum-Horizont)
2. Man führt sie als Untergattung von Subnebrodites zum Kennzeichnen der mikrokonchen Formen auch für die Formen des Malm Beta (Planula-Zone), siehe oben
3. Man interpretiert sie als jüngeres Synonym von Subnebrodites und zieht sie ein.

Ich selbst bin hin- und hergerissen: Die morphologischen Übergänge von Praeataxioceras zu Subnebrodites sind fließend. Weil aber die typischen Praeataxioceraten aus dem Alpha 3 im Gegensatz zu den Betaformen keine Rippenunterbrechung auf der Externseite zeigen, sind sie jahrhundertlang als Orthosphincten fehlinterpretiert worden. Eine Unterscheidung beider Gattungen gelingt jedoch in der Regel sicher durch die vollkommen andere Berippung der inneren Windungen. Die Skulptur der Wohnkammer kann bei den mikrokonchen Formen bestimmter Varianten annähernd identisch sein. Bei den Makrokonchen gibt es dagegen in der Regel keine Schwierigkeiten: Die größten makrokonchen Subnebroditen knacken nur mit Mühe die 20-Zentimeter-Marke. Einfache Wulstrippen, wie sie bei den großwüchsigen makronchen Partnern der Orthosphincten (= Pseudorthosphinctes, Lithacosphinctes) vorherrschen, sind unbekannt. Zwar gibt es Enfachrippen. Dazwischen sind jedoch immer auch zweifach gespaltene Hauptrippen eingeschaltet. Eine Verdickung ist nicht erkennbar.


Interessanterweise enthalten die Beta-Kalke eine hoch diverse und reichhaltige Ammonitenfauna. Leider ist das harte Material nach den Sprengungen kaum aufzuspalten und hat auch keine Zeit zum Verwittern, weil es als Rohmaterial in den Brecher wandert.
Von unten nach oben konnte ich bisher vier interessante Lagen nachweisen:

1. Basisbank mit Subnebrodites planula

Dank meines Sammlerfreundes Werner Hernus aus Erlangen bin ich im Besitz eines typischen Vertreters des Leitammoniten Subnebrodites planula (HEHL). Werner hatte den Ammoniten in zwei Hälften gebrochen auf einer Halde gefunden und den Wert der Versteinerung sofort erkannt. Durch eine Unterschung im Anstehenden kann die Fundschicht auf die untersten beiden erschlossenen Bänke festgelegt werden.

2. Kalkbank mit Subnebrodites minutus, Subnebrodites schroederi, Subnebrodites aff. laxevolutus, Taramelliceras cf. tenuinodosum, "Euaspidoceras" cf. mamillanum, Granulochetoceras sp. und Subdiscosphinctes aff. grandiplex: Etwa zwei Meter unterhalb der Beta2-Gamma1-Genze (= oberer Bereich der unteren Hälfte - unterer Bereich der oberer Hälfte des Unterkimmeridgiums) ist eine im Vergleich zu den anderen Bänken relativ dünne Lage eingeschaltet, die sich im Bruch verfolgen lässt. An einer Stelle konnte ich in dem ansonsten wenig fossilreichen Gestein auf einer Fläche von nicht einmal einem Quadratmeter die oben genannten Ammoniten zum Teil in mehreren Exemplaren freiklopfen. Signifikantester Ammonit ist dabei ein Subdiscosphinctes aff. grandiplex. Mit ihm ist es eventuell möglich, diesen Bereich mit den Ablagerungen im Nordwesten Frankreichs zu korrelieren, wo Hantzpgergue (vergl. Hantzpergue 1989) eine Grandiplex-Subzone im Liegenden des Beta 2 (= oberer Teil des oberen Bereiches der unteren Hälfte des Unterkimmeridgiums) ausweist. Die Gattung Subdiscosphinctes zeigt bei den makrokonchen Formen im Malm Beta und Gamma ein mir unerklärliches Phänomen, das im mittleren Wachstumsstadium ebenso plötzlich auftritt und wieder verschwindet: Die normal nahe der Externseite zweifach gespaltenen oder auch ungespaltenen Hauptrippen verlegen ihren Spaltpunkt tiefer, so dass sich dieser zwischen Flankenmitte und Nabelkante befindet. Sie ähneln damit Vertretern der wesentlich älteren Gattung Indosphinctes (Dogger Zeta) sowie Vertretern der frühen Ataxioceraten (= Schneidia) aus dem oberen Malm Gamma 1 (= Oberer Teil des unteren Bereiches der oberen Hälfte des Unterkimmeridgiums). Auch wenn das einzige komplette Exemplar das Hantzpergue von Subdiscosphinctes grandiplex abgebildet hat, wesentlich weitnabeliger ist, als mein Stück, so halte ich eine artliche Gleichheit für möglich. Der Holotypus von Quenstedt aus dem "Weißjura beta" von Pfullingen ist übrigens bestens gewählt. Das 39 Zentimeter große Exemplar ist mit Mundsaum überliefert und zeigt fast alle wichtigen Wachstumsstadien: Innerste Windungen mäßig dicht berippt (beim Holotyp nicht erhalten!), dann folgt ein Stadium sehr dichter Berippung mit den erwähnten ataxioceratoiden Spaltungen (auch, wenn dies beim Holotypus nicht sofort ins Auge fällt, so hat es Schlegelmilch 1994 richtig erkannt und weist bei seiner Artdiagnose explizit darauf hin; vergleiche Schlegelmilch, S. 74). Weiter geht es mit dem Ausbilden von Büschelrippen, wobei die Hauptrippen so stark an Relief verlieren können, dass die Flanken fast glatt erscheinen. Zu sehen sind dann nur noch die zahlreichen Spaltrippen, die aber bei Quenstedts Exemplar durch die Wohnkammer überdeckt sind. Diese trägt einfache und nur leicht ausgebildete Wulstrippen.

Steinkernsubdi1.jpg

Subdiscosphinctes aff. grandiplex; Grenze Malm Beta1-Beta2

Steinkernsubdi2.jpg

Gut zu erkennen ist das Stadium mit den tief aufspaltenden Hauptrippen.

3. Kalkbank mit Taramelliceras falcula und dem Seeigel Collyrites cf. carinata

4. Grenzbereich zum Malm Gamma 1 mit Sutneria galar und Orthosphinctes cf. polygyratus

Zu Nummer 4: Grenzbereich zum Gamma1

Habe heute (14. November 2009) eine Exkursion zusammen mit Werner Hernus nach Gräfenberg unternommen und die derzeit nicht mehr besonders günstigen Fundmöglichkeiten auf den Halden - sie sind stark abgesucht und zerklopft, der Abbau in den fossilreichen Schichten wird erst im Spätfrühjahr 2010 wieder aufgenommen - genutzt, den obersten Beta zu studieren.
Im Gegensatz zum Gamma1, wo ich die Basis ja genau kenne, und die Bänke von unten nach oben durchnummerieren kann, muss ich im Beta die Zählweise umkehren.
Die Grenze zwischen dem Beta 2 (Planula-Zone, Galar-Subzone) und dem untersten Gamma 1 (Platynota-Zone, Polygyratus-Subzone) habe ich mit einer blauen Linie eingezeichnet. Sie dürfte relativ sicher sein, auch wenn mir aufgrund der schlechten Aufschussverhältnisse in Gräfenberg aus dem unteren Malm Gamma 1 (= Gamma Bank 1-5) noch keine Sutneria platynota vorliegt.
Die Beta Bank 1 ist als Ammonitenseife ausgebildet, wobei die eingebetteten Ammoniten meistens nur relikthaft erhalten sind. Durch den heutigen Fund einer Sutneria galar ist die Zugehörigkeit zum obersten Malm Beta 2 als sicher anzusehen. Eine weitere Sutneria galar konnte ich aus dem Top der Beta 4 schlagen.

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Der Grenzbereich Malm Beta 2/Gamma1 im Steinbruch Gräfenberg. Die Lagen Gamma Bank 4 und Beta Bank 3 sind nur sehr dünne Bänkchen und werden daher leicht übersehen.


Schlachtfeldklein.jpg

Ammonitenseife aus der Beta Bank1 mit den Relikten zweier Ammoniten, die zu Orthosphinctes (Lithacosphinctes) evolutus gehören dürften.


Sutneria_galar.jpg
Sutneria galar (Oppel) aus der Beta Bank 1: Das rund 2 Zentimter große Stück ist unvollständig erhalten und leicht schräg in den harten mit Glaukonitkörnern durchsetzten Kalk eingebettet worden.


Themenbereich 3: Der untere Malm Gamma 1

Der untere Malm Gamma 1 (Untere Playnota-Zone, Polygyratus-Subzone) umfasst im Steinbruch Gräfenberg (Endress) nach meiner Einschätzung 5 Bänke. Alle fünf haben einen hohen Kalkanteil und sind im unverwitterten Zustand nur schwer aufzuspalten.
Bank 1 ist als Ammonitenseife ausgebildet; Bank 2 enthält weniger Ammoniten, dafür ist die Erhaltung im Allgemeinen besser; Die Bänke 3 bis 5 haben sich bisher als ausnehmend fossilarm erwiesen.

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Exkurs 2: Über den Leitwert des Orthosphinctes polygyratus


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Themenbereich 4: Der mittlere Malm Gamma 1

Der mittlere Malm Gamma 1 (Mittlere Platynota-Zone, Desmoides-Subzone) umfasst nur zwei eindeutig trennbare mergelhaltige Kalkbänke (= Bank 6 und Bank 7), die im unverwitterten Zustand fest miteinander verbacken sein können. An einigen Stellen schiebt sich unterhalb der Bank 6 eine harte Mergelplatte ein.

Themenbereich 5: Der Obere Malm Gamma 1

Der obere Malm Gamma 1 (Obere Platynota-Zone, Guilherandense-Subzone) umfasst gesichert (der Nachweis des Leitammoniten Sutneria platynota liegt jeweils vor )vier Bänke (Bank 8 bis 11). Ob die Bank 12 bereits dem untersten Gamma 2 zuzurechnen ist, muss vorläufig offen bleiben. Die typischen Leitammoniten des untersten Gamma 2 (= Parataxioceras hippolytense und Cymaceras guembeli) liegen mir ab der Bank 14 vor.

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Exkurs 3: Über die Neuordnung der Gattung Ataxioceras

Die Faunenliste des oberen Malm Gamma 1 erachte ich als derzeit vorläufig. Aufgrund meiner horizontierten Aufsammlungen in den Bänken 8 und 9 bin ich der Überzeugung, dass die Systematik der Orthosphincten und den frühen Ataxioceraten im oberen Gamma 1 grundsätzlich neu definiert werden muss. Bevor ich hier konkrete Ergebnisse bringe, möchte ich die Meinung eines Fachmanns einholen. Nur soviel vorab: Die Auswertung meines sehr umfangreichen Materials legt die Vermutung nahe, dass sämtliche Exemplare der späten Orthospincten und der frühen Ataxioceraten in Wirklichkeit nur die Variationsbreite einer einzigen Spezies sind.

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Themenbereich 6: Der Untere Malm Gamma 2

Umfangreiche Aufsammlungen in der Gamma-Bank 12 seit März 2011 legen die Vermutung nahe, dass mit dieser Schicht der unterste Gamma 2 beginnt. Anmerkung: Im Rahmen einer Begehung am Samstag, 7. Mai 2011 konnte Werner Hernus einen Cymaceras cf. guembeli aus dem Top der Bank 12 bergen. Damit dürfte die Einstufung in den untersten Gamma 2 gesichert sein.
Die Ammonitenfauna besteht größtenteils aus Vertretern der Gattungen Ataxioceras und Parataxioceras. Die Formen haben eine enorme Variationsbreite. Während konservativ spaltende Formen nicht von älteren Orthosphincten und/oder Ardescien unterschieden werden können, zeichnet sich der Großteil durch komplizierte Rippenmuster aus, bei denen polyplole, subpolyploke und diversipartite Rippeneinheiten zusammen mit bis weit in die Flanke reichenden und teilweise gespaltenen Schaltrippen das Aussehen maßgeblich bestimmen. Individuell ausgebildete Einschnürungen und/oder Parabelknoten schaffen unregelmäßige Rippenbilder, wie es sich für Ataxioceraten aus dem Bilderbuch gehört. Damit findet die extreme Entwicklung der Gattungen Ataxioceras und Parataxioceras bereits an der Basis der Hypselocyclum-Zone statt. Auf diesen Sachverhalt hat bereits Wegele hingewiesen.
Die Variabilität bei den Ataxioceraten und Parataxioceraten in der Bank 12 sprengt die Vorstellungskraft des gewöhnlichen Sammlers. Trotzdem lassen sich lückenlose Übergänge zwischen scheinbar selbstständigen Arten nachweisen. So finden sich unter anderem Parataxioceras lothari, Parataxioceras pseudolothari, Parataxioceras effrenatum, Parataxioceras pseudoeffrenatum, Parataxioceras schaireri, Parataxioceras lussasense, Parataxioceras geniculatum, Parataxioceras hippolytense und Parataxioceras latifasciculatum.
Bei den makrokonchen Formen (= Ataxioceras) fallen unter anderem die Formen Ataxioceras disobolum, Ataxioceras catenatum, Ataxioceras cf. discoidale, Ataxioceras cf. hypselocyclum und Ataxioceras suberinum ins Auge.

Die nachfolgenden zehn Aufnahmen von Ataxioceraten aus der Bank 12 sollten einen kleinen Einblick in die Variationsbreite der Spezies Parataxioceras lothari und seines makrokonchen Partners Ataxioceras cf. hypselocyclum geben. Die Erhaltung der meisten Stücke ist nur mäßig,  entspricht jedoch dem Regelfall in dieser Lage.

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Parataxioceras lothari morf. lothari: Das rund 103 Millimeter messende Exemplar liegt in der Mitte der skulpturellen Varianten. Deutlich zu erkennen sind die kompliziert gespaltenen Hauptrippen im Bereich der Wohnkammer.

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Parataxioceras lothari: Typisch für die Bank 12 ist die fragmentarische Erhaltung mit einer großen Fehlstelle im Bereich der Wohnkammer. Deutlich zu erkennen sind die dicht berippten Innenwindungen und die die komplizierten Spaltungen auf dem äußeren Umgang (Durchmesser ca. 93 Millimeter.

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Parataxioceras lothari morf. polyplocus: Durch zahlreiche Einschnürungen wirkt das Rippenbild bei diesem rund 117 Millimeter großen Exemplar noch unruhiger. Vielen Dank an Werner Hernus für die Überlassung des Ammoniten.


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Parataxioceras lothari morf. schaireri: Auch, wenn man glaubt, eine typische Ardescia schaireri vor sich zu haben, auch diese konservative Form mit fast durchgehend bipartiter Rippenspaltung fällt in die Variationsbreite von Pataraxioceras lothari. Durchmesser: ca 74 Millimeter

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Parataxioceras lothari morf. lussaense: Für Formen wie diesen rund 74 Millimeter großen Ataxioceraten hat Atrops den Namen Schneidia lussasense aufgestellt. Die fränkischen Formen aus dem unteren Gamma 2 lassen sich jedoch auch als engnabelige Varianten von Parataxioceras lothari interpretieren. Dr. Edmund Fischer aus Erlangen danke ich die Überlassung dieses interessanten Stückes.

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Parataxioceras lothari: Auch aus der Bank 12 glückt immer wieder ein Fund eines optisch ansprechenden Ammoniten. Dieser lothari - Durchmesser ca. 82 Millimeter - geht morphologisch in die Richtung der dicht berippten Formen.

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Noch ein Parataxioceras lothari aus der Gruppe der engnabeligen Vertreter, für die Atrops die Untergattung Schneidia eingeführt hat. Das und 96 Millimeter große Exemplar verdanke ich Werner Hernus aus Erlangen.

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Hier ein lothari-Exemplar, das in den mittleren Umgängen den Morphotypus latifasciculatum zeigt. Leider ist der Mundsaum des rund 115 Millimeter großen Stückes nicht erhalten. Es könnte sich theoretisch auch um einen kleinwüchsigen Makrokonch (= Ataxioceras) handeln. Die Bestimmung als Parataxioceras lothari richtet sich nach dem erhaltenen Durchmesser, der eher für eine mikrokonche Form spricht.

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Dieser rund 72 Millimeter große Ataxioceras hat bereits einen halben Umgang Wohnkammer. Für einen Makrokonch ist er zu klein, für einen Mikrokonch fehlt noch die typische Altersskulptur. Möglicherweise handelt es sich um ein jugendliches und damit noch nicht geschlechtsfixiertes Exemplar.

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Auch, wenn er im untersten Gamma 2 laut Atrops noch nichts zu suchen hat: Dieses rund 103 Millimeter große Fragment erinnert stark an einen Ataxioceras hypselocyclum - vor allem in der Definition durch Atrops.



Literaturliste:

Dietz, Wolfgang (2005): Seltenes Wellenhorn aus Gräfenberg.- www.steinkern.de - 26.1.2005

Hantzpergue, P. (1989): Les Ammonites Kimméridgiennes du Haut-Fond d'Europe Occidentale: Biochronologie, Systématique, Èvolution. Paléogéographie.- Èditions du CNRS 15, Paris

Schlegelmilch, R. (1994): Die Ammoniten des süddeutschen Malms.- Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, Jena, New York



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