Für Sammelanfänger

Welche Bedeutung steckt hinter den Namen von Fossilien und wie entstehen sie?

Wer sich mit Fossilien beschäftigt stolpert schnell über deren Namen.
So zum Beispiel:

Gastrioceras listeri (SOWERBY 1912)

Zuerst stellt sich die Frage: Warum gibt es diese komischen Namen? Eine Mischung aus Latein, Eigennamen und merkwürdigen Zusätzen. Dabei werden die Regeln der Groß- und Kleinschreibung auch noch ignoriert.


Vor der Festlegung dieser Regeln gab es in jedem Land einen eigenen Namen für eine bestimmte Pflanze und ob der wirklich die gleiche Art meinte wie im Nachbarland, war erst einmal kaum festzustellen. Wer heute antike oder mittelalterliche Schriften studiert, wird oft über dieses Problem stolpern. Welche Pflanze meinte der Autor? Da nach dem Untergang der antiken Kulturen der Rest an Wissen in Klöstern in Latein bewahrt wurde, machte es durchaus Sinn diese Sprache für eine Generalisierung der Namensgebung zu nutzen. Auch war Latein in Zeiten von nationalen Empfindlichkeiten unverdächtig bzw. unparteiisch als Sprache der Wissenschaft.

Diese Namensgebung (Nomenklatur) ist das Lebenswerk des Schweden Carl von Linné (1707 - 1778). In seinem Hauptwerk Systema Naturae hat er dieses System über 10 immer erweiterte Auflagen entwickelt. Dabei wird jedes Lebewesen an einem Platz in einem Stammbaum eingeordnet. Dieser Stammbaum ist hierarchisch aufgebaut. Je ähnlicher sich zwei Arten sind, desto näher stehen sie im Stammbaum beieinander. Seit dieser Zeit arbeiten Generationen von Wissenschaftlern an der möglichst genauen Klassifizierung aller Lebewesen, egal ob Rezent oder Fossil. Dabei Reden wir von mindestens 7 Millionen rezenten Arten (die Zahl ist umstritten ) und einer deutlich größeren Zahl bekannter und unbekannter fossiler Arten.

Ein Beispiel wie man dieses System auf Fossilien anwendet:

Der Goniatit Gastrioceras listeri kommt im Oberkarbon (Westfal) vor. Er war bereits im Zeitalter der aufkommenden Industrialisierung von wirtschaftlichem Interesse und wurde darum intensiv bearbeitet. Er kommt in einer Tonschicht über dem Flöz Finefrau Nebenbank massenweise vor und war daher für den Bergbau interessant. Wenn man also diesen Tonhorizont in einem Bergwerk fand, dann wußte man genau wo man war und welche Flöze im weiteren Abbau zu erwarten waren.

Der Artname Gastrioceras listeri ist zweiteilig. Der erste Teil besagt die Art gehört zur Gattung Gastrioceras. Das ist die unterste Rangstufe in der mehrere Arten zusammengefasst werden. Die Bildung von Einheiten ähnlicher Lebewesen bezeichnet man als Taxonomie. Eine Einheit als Taxon (plural Taxa).

Die Art gehört wie andere Goniatiten zur Ordnung der Goniatitida.

Diese gehören wiederum zur Unterklasse Ammonoidea. Dazu gehören auch andere Ordnungen (z.B. Ceratitida).

Die Unterklasse Ammonoidea gehört zur Klasse der Cephalopoda (Kopffüßer).

Diese Klasse gehört zum Stamm der Mollusca (Weichtiere)

Das alles gehört zum Reich der Animalia (Metazoa, vielzelligeTiere).

Also von unten nach oben:
Art, Gattung, Familie, Ordnung, Klasse, Stamm, Reich.

Die Arten einer Gattung sind sich sehr ähnlich.
Bei zwei Arten die in einer Klasse, aber in verschiedenen Ordnungen sind, muß man schon genau hinsehen, um die Gemeinsamkeiten festzustellen.

Da es zur Entstehungszeit dieses Systems noch keine genetischen Methoden gab, hat man Verwandschaftsbziehungen über gemeinsame äußere Merkmale (Formen, Anzahl bestimmter Elemente usw.) abgeleitet und so den verschiedene Arten ihren Platz im Stammbaum zugeordnet. Diese Klassifizierung ist von Generationen von Wissenschaftlern immer wieder überarbeitet worden und so ausgereift, das auch genetische Methoden sie meistens nur bestätigen können.

Das System und damit der Stammbaum ist recht komplex und kennt noch weitere dieser Rangstufen, aber dabei geht es nur darum die Merkmalsgruppen noch feiner zusammen zu fassen.


Bei Fossilien ergaben sich zusätzliche Probleme. Man kann nun einmal nur die vorhandenen Überreste studieren und nicht am lebenden oder sezierten Objekt genauer untersuchen. So wurden bei Pflanzen oft für Wurzeln, Laub, Früchte und Abdrücke der Rinde jeweils eigene Artennamen vergeben, einfach weil diese getrennt gefunden wurden und eine Rekonstruktion der vollständigen Pflanze nicht möglich ist. Ein solches willkürliches System bezeichnet man als Parataxonomie. Auch stellt sich die Frage wo eine neue Art anfängt und wo eine Variation aufhört. Kann man schon mit einem einzigen Fundstück, das eventuell noch unvollständig ist, schon eine neue Art aufstellen? Wie geht man mit Spurenfossilien um? Bei Ammoniten sind Männchen und Weibchen oft unterschiedlich groß und es fällt auch da schwer beide einer Art zuzuordnen.

Das Recht der Namensvergabe steht dem Erstbeschreiber zu. Wenn also zwei Forscher unabhängig voneinander eine Art beschreiben, hat die ältere Beschreibung das Vorrecht. Diese Erstbeschreibung bezieht sich auf ein ausgewähltes typisches Exemplar der Art den sogenannten Holotypus. Dieser muß an beschriebener zugänglicher Stelle hinterlegt werden, damit andere Wissenschaftler damit arbeiten können. Weitere hinterlegte Exemplare werden als Isotypen bezeichnet. Geht der Holotypus verloren, was im zweiten Weltkrieg durchaus öfter vor kam, dann wird einer der Isotypen zum Lectotypen ernannt, also zum Ersatz des Holotypen, oder falls alles Material verloren ist, dann wird ein neues Exemplar, Neotypus genannt, hinterlegt.


Der Artname selber ist zweiteilig (binominal). Der erste Teil gehört zur nächsthöheren Rangstufe, also der Gattung und verbindet so diese Art mit einer Stelle im Stammbaum. In unserem Beispiel der Goniatit gehört also zur Gattung Gastrioceras. Der Anfangsbuchstabe des Gattungsname wird groß geschrieben. Der zweite Teil des Namens wird klein geschrieben und als Artepithet bezeichnet. Dieses Artepithet ist einmalig in einer Gattung, kann aber in anderen Ordnungen durchaus auftreten. Dieser Artepithet wird oft zur Ehrung eines anderen verdienten Wissenschaftler (nie sich selber) vergeben, in unserem Beispiel Mr. Lister (gab es den wirklich?), oder als Hinweis auf eine Eigenschaft oder Besonderheit der Art, kann aber auch der Fantasie entspringen. Bis heute ist die Latinisierung der Endsilbe vorgeschrieben. Aus Mr. Lister wird also 'listeri'.

Es dürfen nur lateinische Buchstaben verwendet werden, keine nationalen Sonderzeichen. Der zweiteilige Name wird in kursiven Buchstaben gesetzt.


Hinter dem Namen steht der Nachname des Erstbeschreibers in Großbuchstaben und das Jahr der Erstbeschreibung. In der Erstbeschreibung selber steht dieser Zusatz natürlich nicht, aber der Zusatz n.sp. (=neue Species). Stehen Erstbeschreiber und Jahr in Klammern, dann wurde der Name in einer späteren Neubearbeitung verändert. Das kann viele Gründe haben, von einem Schreibfehler bis zur Zuordnung zu einer anderen Ordnung.

Gibt es mehrere Autoren gleichen Namens wird der Vorname abgekürzt mit angegeben =W.LEHMANN oder W.M.LEHMANN

Veröffentlicht der Autor in einem Jahr mehrere Arbeiten mit Erstbeschreibungen, wird die Jahreszahl durch einen kleinen Buchstaben ergänzt (erste Publikation= 1956a, zweite = 1956b, dritte = 1956c usw.)

Wegen der Länge des Namens wird bisweilen eine Abkürzung verwendet (z.B. Goldf. = GOLDFUSS).


Für die Nomenklatur ist die International Comission on Zoological Nomenclatur (ICZN) zuständig. Noch einmal die wichtigsten Rangstufen, die dort festgelegt wurden. In Klammern dazu die lateinische Bezeichnung der Rangstufe:

Reich (regnum)
Stamm (phylum)
Klasse (classis)
Ordnung (ordo)
Familie (familia)
Gattung (genus)
Art (species)

Wenn man nun ältere Literatur zitieren möchte, hat man das Problem das sich die Schreibweise oder gleich der ganze Artname geändert hat. Also wird hinter dem zweiteiligen Namen der Autor der zitierten Literatur und das Jahr genannt. Wie im Beispiel des Gastrioceras listeri kann das eine sehr lange Liste verschiedener Bezeichnungen zur Folge haben. Hier nur ein paar Beispiele:

Ammonites Listeri (SOWERBY 1812)
Im 19 Jahrhundert wurde das Artepithet noch groß geschrieben und die Gattung 'Ammonites' war der Sammelbegriff für alles was nach Ammonit aussah. Diese Bezeichnung wurde von einem Herrn Sowerby im Jahre 1812 eingeführt.

Goniatites Listeri (PHILLIPS 1836)
Artepithet immer noch groß Geschrieben, aber jetzt schon Gattung Goniatites.

Bis in die 1930er Jahre gab es Artepithet in Groß- und Kleinschreibung. Dann hatte sich dank der Kommission die Kleinschreibung durchgesetzt.

Und damit dann auch die heutige Schreibweise:

Gastrioceras listeri (SOWERBY 1912)



Oft finden sich beim Namen noch Zusätze. Diese sollen Grenzen der Genauigkeit bzw. Zweifel andeuten, wenn also ein Exemplar einer Art weniger als hundertprozentig zugeordnet werden kann:

sp - Nur Gattung + sp bedeutet eine Bestimmung auf Artebene ist nicht möglich, Artepithet wird also nicht angegeben

cf - Confer, vergleiche, Artepithet wird angegeben

aff - Nahe bei, Artepithet wird angegeben.




Schön sind dann immer Versuche einer Neubearbeitung. Dabei werden entweder aus einer alten Art mehrere neue, oder man stellt fest das mehrere alte Arten zu einer neuen Art gehören, weil die alten nur Variationen der neuen Art waren. Die Frage ob und wann das Sinn macht ist schon öfter kontrovers im Forum diskutiert worden und soll hier nicht weiter thematisiert werden.




Exkurs: Was gehört zu einer Erstbeschreibung?

1. Neuer Name, mit n.sp., ohne Autor
2. Synonymliste
3. Derivatio nominis (Herkunft des Namens)
4. Holotypus (Abbildungsnummer, Aufbewahrungsort, Inventarnummer (Nur gültig wenn er sich in einer öffentlichen Sammlung befindet)
(4a. Paratypen)
5. Locus typicus (Fundort, möglichst typisch Wink )
6. Stratum typicum (Stratigraphie, Zone, Lithologie etc.)
7. Material
8. Dimensionen und Proportionen
9. Diagnose
10. Beschreibung
11. Vergleich
12. Bemerkungen

Diese Beschreibung muss in gedruckter Form vorliegen und in einer Auflage von mindestens 450 Stück.


Die folgende Aufstellung von unserem Redakteur Miroe liefert Übersetzungen der wichtigsten lateinischen Namensbestandteile ins Deutsche:

http://forum.steinkern.de/download/file.php?id=16636




Hier noch ein paar interessante Links zum Thema:

Die Kommission in Englisch. Hier kann man den kompletten Codex online nachlesen:
http://iczn.org/iczn/index.jsp


Carl von Linné:
http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_von_Linn%C3%A9

Botanische Nomenklatur:
http://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_Code_der_Botanischen_Nomenklatur

Regeln der Nomenklatur:
http://de.wikipedia.org/wiki/ICZN

Taxonomie:
http://de.wikipedia.org/wiki/Taxon