Trias

Discoceratiten-Funde bei Göttingen

Aufschlußsituation

Zwischen April 2007 und Juni 2008 bot sich mir in einem kleinen Neubaugebiet erstmals die Gelegenheit, selbst in größerem Umfang bei Göttingen Ceratiten aus der Discoceratiten-Zone zu sammeln. Jahre zuvor hatte ich ganz in der Nähe auf einem Acker bereits Bruchstücke von Discoceratiten gefunden, und so war es ein glücklicher Moment, als ich die Baustelle eher durch Zufall auf dem Rückweg von einem Sammelausflug entdeckte.
Im Frühjahr 2007 wurden zunächst die Erschließungsmaßnahmen durchgeführt, bei denen insbesondere Abwasserrohre in einem bis zu 3 m tiefen und etwa 2,5 m breiten Graben verlegt wurden (Bild 1). Das Ausheben des Grabens selbst hatte ich verpaßt, erfreulicher Weise durchmischten die Bauarbeiter den Aushub vor dem Wieder-Verfüllen jedoch mit Kalk, um seine Festigkeit zu erhöhen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich etliche, wenngleich recht angelöste Discoceratiten bergen (Bild 2).

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Bild 1: Erschließungsarbeiten im April 2007.

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Bild 2: Erste Funde. Die Ceratiten erreichen Durchmesser bis 24 cm und sind von Kalkstaub umhüllt.

Danach begann ein langes Warten auf den Beginn der Hausbauarbeiten, die schließlich im September starteten, aber erst im März 2008 wieder fossilführende Schichten erschlossen. Dabei fand ich in zwei von zehn Baugruben nun auch Discoceratiten in etwas besserer Erhaltungsqualität. Während der gesamten Zeit habe ich durchschnittlich zweimal pro Woche Erkundungs-Radtouren zur Baustelle unternommen und bin nicht zuletzt auch deshalb froh, daß die Erdarbeiten in den Fundschichten nun abgeschlossen sind.

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Bild 3: Hier wird nicht mehr gebaggert.


Profil und Fossilführung

Eine schematische Darstellung des auf der Baustelle erschlossenen Profilabschnitts zeigt Abb. 4. Die Abbildung wurde aus zwei Teilprofilen erstellt, welche ich anhand zweier im Abstand von etwa 30 cm auftretender, dünner Kalksteinbänke mit einiger Sicherheit korrelieren konnte. Der Überlappungsbereich der Teilprofile ist durch gestrichelte Linien markiert.

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Abb. 4: Auf der Baustelle erschlossener Profilabschnitt, aus zwei überlappenden Teilprofilen erstellt. Erläuterungen im nachfolgenden Text.

Die Basis des Profils wurde von einer etwa 16 cm mächtigen Schillkalkbank gebildet, deren Oberseite dicht mit Steinkernen der Muschel Hoernesia sociales und Resten von Discoceratiten bedeckt war (Bild 5). Im Hangenden der Kalkbank fand sich eine bis zu 30 cm mächtige, braun-gelbliche Mergelkalkstein-Tonmergel-Wechsellage, die die meisten Ceratitenfunde lieferte. Darüber folgte eine grau-violette, zahlreiche Kalksteine und Ceratiten führende Tonmergellage, welche insgesamt eine Mächtigkeit von etwa 120 cm erreichte (Bild 6). In das obere Drittel der Tonmergellage und an ihrem Top waren zwei dünne, knollige Kalksteinbänke eingeschaltet. Etwa 30 cm oberhalb der oberen Kalksteinbank stand in einem braunen Mergelpaket nochmals eine violett-grau verwitternde, 10 cm mächtige Mergelkalksteinbank mit rostbrauner Verwitterungsrinde an, gefolgt von einem weiteren Meter grau-braunen Tonmergels mit im Abstand von je etwa 30 cm eingeschalteten dünnen Mergelkalkstein-Lagen (Bild 7). Die beschriebene  Abfolge ging schließlich in einen dunkelbraun-erdigen Schichtabschnitt über (Bild 8). Der Abschnitt oberhalb der violett-grau verwitternden Mergelkalksteinbank war nach meiner Beobachtung fossilfrei und machte leider etwa 70 Prozent des auf der Baustelle anfallenden Aushubes aus. Die Schichtung fiel insgesamt leicht nach SE ab und wurde von der Geländeoberkante geschnitten.


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Bild 5: Schillkalkbank im Liegenden des Profils, dicht übersät mit Hoernesia sociales und dem Phragmokon eines Ceratiten (links im Bild).

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Bild 6: Der untere Profilabschnitt mit der grau-violetten Tonmergellage und zwei knolligen Kalksteinbänken. Die Grubentiefe beträgt hier etwas mehr als 2 m.


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Bild 7: Der mittlere Profilabschnitt mit der knolligen Kalkbank auf dem Top der grau-violetten Tonmergellage und einer weiteren Kalkbank mit rostbrauner Verwitterungsrinde. Im oberen Abschnitt wird das Profil erdig.


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Bild 8: Der obere Profilabschnitt, erdig ausgebildet. Der erdige Aushub machte etwa 70 Prozent des auf der Baustelle anfallenden Aushubes aus.


Profileinordnung

Hinsichtlich der stratigraphischen Einordnung des Profils gab es bereits eine längere Diskussion im Forum.

Diskussion

Problematisch sind dabei insbesondere die geringe Tiefe der einzelnen Baugruben und das Fehlen aushaltender Leitbänke im Aufschluß. Die beschriebene Schillkalkbank im Liegenden des Profils war nur in einer Baugrube aufgeschlossen, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, daß es sich bei ihr um eine lokale Bildung handelt. Darüber hinaus gibt es für den Göttinger Raum nur wenige Vergleichsprofile in dem entsprechenden stratigraphischen Niveau, welche eine exakte Korrelation ermöglichen könnten. Die stratigraphische Einordnung des Baustellenprofils muß sich also im wesentlichen auf die aufgefundenen Ceratiten stützen, wobei im Rahmen der Forumsdiskussion die Problematik dieses Vorgehens herausgestellt wurde. Bei den Ceratiten handelt es sich demnach lediglich um eine einzige Spezies, die sich ständig weiterentwickelt und in allen Übergangsgliedern zwischen den im Sinne der ursprünglichen Ceratitenstratigraphie aufgestellten Ceratiten-"Arten" auftritt. Eine vom Profil losgelöste Ceratiten-Stratigraphie erscheint damit aufgrund des Fehlens klarer Artgrenzen nicht sinnvoll.

Unabhängig davon entsprechen die aufgefundenen Ceratiten in ihrem Phänotyp am ehesten dem Ceratites dorsoplanus, und das Profil soll damit in guter Näherung in die dorsoplanus/alticella-Zone gestellt werden.

Vergleichsprofile finden sich insbesondere in Arbeiten von Rebers (1987, unveröffentlicht) sowie von Urlichs/Vath (1990). Im Detail sind diese Profile hinsichtlich der lithologischen Ausprägung der dorsoplanus-Zone vom Baustellenprofil verschieden, allein mit Blick auf die hier angetroffene Abfolge von Kalkbänken gibt es jedoch eine interessante Übereinstimmung mit einem Profilabschnitt bei Rebers. Der entsprechende Profilabschnitt beginnt dort etwa einen Meter oberhalb der ostracina-Bank, welche nach der derzeit gültigen Lesart die Basis der Zone des C. weyeri/levalloisi bildet (Dünkel/Vath 1990).

Neben überwiegenden C. dorsoplanus konnte ich etwas abseits der Baustelle an einem geneigten Hang aus dem Aushub für eine Renaturierungsmaßnahme einen Phragmokon mit Wohnkammeransatz eines C. levalloisi bergen, dessen stratigraphische Stellung zur Schillbank unklar ist (Bild 9). 


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Bild 9: Phragmokon mit Wohnkammeransatz, C. levalloisi, Durchmesser 17,5 cm.


Fundsituation

Der hauptsächliche Fundhorizont für Discoceratiten lag wie beschrieben in einer etwa 30 cm mächtigen Schicht oberhalb der Schillkalkbank. Für diesen Horizont kann man geradezu von einem Massenvorkommen der Ceratiten sprechen, wie es für die dorsoplanus-Zone auch von der Tunnelbaustelle bei Reiffenhausen und der Baustelle der A71 bekannt geworden ist.
Die Ceratiten waren insgesamt überwiegend angelöst bis stark angelöst, worin sich zum einen wohl die Oberflächennähe des Aufschlusses, zum anderen aber auch gute Wasserführungs-Eigenschaften des Fundhorizontes ausdrücken. Dabei sind die Wasserführungs-Eigenschaften (Grundwasser) des jeweiligen Horizontes höher zu bewerten als die Oberflächennähe, denn einige der am wenigsten angelösten Ceratiten fanden sich praktisch kurz unter dem Mutterboden. Die Ceratiten waren primär insgesamt meist ungebrochen, wobei bei etlichen Stücken jedoch das letzte Viertel der Wohnkammer abgetrennt war. Darüber hinaus wurde wahrscheinlich der Großteil der Ceratiten durch die eingesetzten, nicht sonderlich großen Baggerschaufeln zerstört. Die aufgefundenen Bruchstücke mitgerechnet, fand ich in den geschätzten 400 cbm des fossilführenden Aushubes und vereinzelt auch im Anstehenden größenordnungsmäßig 200 Ceratiten, bei etwa 90 Prozent Ausschuß.

Urlichs und Vath (1990) schreiben in ihrer Arbeit über die beim Neubau der ICE-Trasse bei Göttingen kartierten Ceratiten-Zonen: „Die Ceratiten von der enodis/laevigatus- bis zur semipartitus-Zone sind jedoch durchweg so schlecht, bruchstückhaft und angelöst erhalten, (...) daß auf Abbildung verzichtet wird.“

So weit wollte ich nicht gehen...

Mein Dank gebührt an dieser Stelle einem Anwohner, der mich über neue Erdarbeiten informierte, den Bauherren und Bauarbeitern, die mich ungestört im Aushub und im Anstehenden haben graben lassen, sowie den Baggerfahrern, die manchmal auf ein Handzeichen von mir ihren Bagger stoppten, damit ich Ceratiten aufsammeln konnte.


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Bild 10: Freund und Helfer, allzu oft aber auch Ceratitenvernichter.

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Bild 11: C. dorsoplanus mit 27,5 cm Durchmesser im Fundzustand.

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Bild 12: Ein weiterer C. dorsoplanus (Phragmokon) im Fundzustand. Die Erhaltung der Ceratiten war am besten, wenn sie wie hier direkt in eine Tonlage eingebettet und so vor dem Grundwasser geschützt waren. Die Ceratiten waren zudem nur selten primär gebrochen.

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Bild 13: Was hier aus dem Aushub hervorlugt, ist leider nur ein Ceratitenfragment.

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Bild 14: Ceratit im Anstehenden. Muschelkalk ist entweder bretthart oder schmierig.

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Bild 15: C. dorsoplanus, Durchmesser 27,5 cm, vermutlich aus dem Übergangsbereich weyeri-dorsoplanus-Zone. Exemplare in dieser Größenordnung wurden fast immer vom Bagger zerstört.

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Bild 16: C. dorsoplanus, Durchmesser 13,5 cm - eines der am besten erhaltenen Stücke. Bemerkenswert finde ich die zwischenzeitliche Lobendrängung auf dem Phragmokon.

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Bild 17: Phragmokon eines C. dorsoplanus mit 21 cm Durchmesser.

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Bild 18: C. dorsoplanus mit 18 cm Durchmesser.

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Bild 19: C. dorsoplanus mit 16 cm Durchmesser.

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Bild 20: C. cf. levalloisi, 24 cm, vermutlich aus dem Übergangsbereich weyeri-dorsoplanus-Zone. Hier handelt es sich um ein extrem aufgeblähtes Exemplar, wie es das folgende Bild zeigt.

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Bild 21: Die Rückenhöhe dieses C. cf. levalloisi beträgt bis zu 9 cm.

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Bild 22: C. dorsoplanus, 20 cm.

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Bild 23: C. dorsoplanus, 16 cm.

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Bild 24: Phragmokon eines juvenilen C. dorsoplanus, 7 cm.

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Bild 25: C. dorsoplanus, 16 cm. Dieses ziemlich gut erhaltene Exemplar geriet leider unter den Bagger. Ich habe ein etwa 70° umfassendes Stück des Phragmokons ergänzt.

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Bild 26: C. dorsoplanus, 23 cm, mit geringfügiger Ergänzung an der Wohnkammer.

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Bild 27: Der Phragmokon des C. dorsoplanus aus Bild 11. Die Fehlstellen habe ich mit Gips ergänzt und finde, das Ergebnis kann sich gerade ohne Retusche sehen lassen. 20,5 cm.


Literatur

Rebers, H.: Oberer Muschelkalk und unterer Keuper im Einschnitt der DB-Neubaustrecke Hannover-Würzburg (km 105,000-108,420) südlich Olenhusen, unveröffentlichte Diplomarbeit, Univ. Göttingen, 1987.

Dünkel, H., Vath, U.: Ein vollständiges Profil des Muschelkalks der Dransfelder Hochfläche, SW Göttingen (Südniedersachsen), Geol. Jb. Hessen 118 (1990) 87.

Urlichs, M., Vath, U.: Zur Ceratiten-Stratigraphie im Oberen Muschelkalk (Mitteltrias) bei Göttingen (Südniedersachsen), Geol. Jb. Hessen 118 (1990) 127.

Wagner, S.: Ein Teilprofil der Disoceratiten-Schichten bei Göttingen, in: Der Steinkern - Heft 1 (2008), S. 40-45).