Trias

Pholeus – ein alltägliches, nicht alltägliches Spurenfossil

In diesem Bericht soll ein Exemplar des Spurenfossils Pholeus (Fiege, 1944) noch einmal eingehender vorgestellt werden, das an anderer Stelle im Steinkern-Forum bereits abgebildet und überraschend positiv aufgenommen wurde (Link). Vielleicht regt der Text andere Sammler an, ebenfalls nach gut erhaltenen Exemplaren dieses vermeintlichen Allerweltsfossils zu suchen.

 

Übersicht

Gefunden wurde das Spurenfossil im August 2016 anlässlich einer Sammelexkursion mit einigen Steinkern-Kollegen im Unteren Muschelkalk des Eichsfeldes. In der Aufschlusswand zeigte sich dabei zunächst ein kleines Stück der Ausfüllung eines Grabgangs mit auffälligen „Kratzspuren“, die zur näheren Betrachtung der Gangfüllung animierten. Bei der weiteren Freilegung des Gangs aus dem zerklüfteten und gut durchgewitterten Gestein offenbarte dieser dann schließlich seine dreidimensionale, mehrfach U-förmig verzweigte und nahezu vollständige Erhaltung. Er wurde mit einem Teil der hangenden Gesteinsplatte geborgen und bildet nun ein instruktives Standstück (Bild 1).

 

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Bild 1: Gesamtansicht der Steinkern-Füllung des Pholeus-Grabgangs, Abmessungen ohne Sockel: 11 x 15 x 28 cm. Bezüglich seiner ursprünglichen Lagerung ist der Grabgang auf dem Kopf stehend aufgestellt. Er wurde in Einzelteilen geborgen und wieder zusammengesetzt. In der als Sockel dienenden hangenden Gesteinsplatte wurde ein Sichtfenster offengelassen, durch das erkennbar ist, dass der Gang im Sockel endet und dann offenbar verschüttet wurde. Die Fotos können durch Anklicken vergrößert werden.

 

Bildungsmilieu

Der Grabgang entstammt dem oberen Abschnitt des Unteren Muschelkalks (Wellenkalk W3, etwa 240 Millionen Jahre alt) und wurde etwa 3 Meter oberhalb der Oberen Terebratelbank geborgen (Bild 2). Ursprünglich wurde der Grabgang in mergeligem, feingeschichtetem Kalk-Sediment angelegt, das einerseits noch duktil genug, andererseits auch bereits ausreichend verfestigt war, um einen Besenstiel-dicken, verzweigten Hohlraum beherbergen und letztlich sogar fossil überliefern zu können. Die entsprechenden Sedimente entstammen dem flachmarinen bis lagunären Milieu einer Karbonatrampe nordwestlich des vindelizisch-böhmischen Massivs, das noch im Einflussbereich der Gezeiten oder knapp darunter gelegen hat (Jena-Formation) [1-3]. Das Sediment war aber aufgrund etwas größerer Wassertiefe sauerstoffärmer als bei dem wohl bekanntesten Spurenfossil des Muschelkalks – Rhizocorallium –, das in einem durch Wasser-Wellenbewegung gut durchlüfteten Ablagerungsraum oberhalb der Sturmwellenbasis angelegt wurde [1]. Spurenfossilien können folglich umgekehrt als Fazies-Anzeiger genutzt werden.

Über den Erzeuger der Pholeus-Grabgänge ist interessanterweise wenig bekannt; ähnliche, jedoch zumeist horizontale Grabbauten vom Thalassinoides-Typ im Muschelkalk wurden nachweislich von Decapoda (Garnelen und Hummer) angelegt [2,4,5], Bild 3. Dies wird auch durch aktualistische Vergleiche mit rezenten Grabbauten von Hummern (Nephropidae) gestützt [2]. Die Grabbauten dienten dem Erzeuger wahrscheinlich als Wohnbau, während er seine Nahrung außerhalb des Grabgangs suchte [1].

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Bild 2: Links: Profil des Wellenkalks W3 mit Oberer Terebratelbank und Fundhorizont. Rechts: Fundsituation des Grabgangs. Der nach oben führende Abschnitt vorn im Foto ist unvollständig erhalten und wurde schematisch ergänzt. Sein Abdruck zeigte sich noch im anstehenden Gestein.

 

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Bild 3: Ein Hummer der Art Pemphix sueuri in Thalassinoides-Grabbau, Naturkundemuseum Stuttgart. Foto: Klaus Heisig. Vermutlich wurden auch Pholeus-Bauten von Decapoden angelegt. Das Foto kann durch Anklicken vergrößert werden.

 

Ansprache des Grabgangs und genetische Interpretation

Pholeus-Bauten werden von Knaust in Ref. [3] anhand ihrer Morphologie klassifiziert. Um den komplexen Grabgang in Bild 1 einem der beschriebenen Pholeus-Typen zuordnen zu können, soll hier versucht werden, ihn gedanklich zu zerlegen und Rückschlüsse darüber zu ziehen, in welcher zeitlichen Abfolge er in das Sediment gegraben wurde. Diese Betrachtungsweise ist ein Stück weit spekulativ, führt aber durchaus zu einem plausiblen Ergebnis. Dabei wird vorausgesetzt, dass ein Pholeus von nur einem Tier gegraben wurde, was im Einklang mit dem bekannten, oftmals ausgeprägten Territorialverhalten zum Beispiel von Hummern steht [4,6]. Es lässt sich dann vermuten, dass tiefer liegende Gänge zuerst angelegt wurden, und anschließend infolge fortschreitender Sedimentbedeckung weitere, höher liegende Gänge gegraben wurden, in denen sich der Bewohner oberflächennah aufhalten konnte, Bild 4.

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Bild 4: Ansicht des Grabgangs in richtiger Orientierung von schräg vorn. Das Foto kann durch Anklicken vergrößert werden.

 

In diesem Modell wurde der ursprünglich in der Aufschlusswand gefundene Gangteil zuerst angelegt. Er zeigt in Bild 5 rechts einen steil nach oben zur ehemaligen Sedimentoberfläche reichenden Schacht, der an seinem unteren Ende abknickte und in einen schräg einfallenden Hohlraum überging. Am Ende der Ausfüllung dieses Hohlraums (links im Bild) zweigt ein dünnerer Schacht nach oben ab, der nicht ganz vollständig erhalten ist. Dieser zweite dünne Schacht diente der Ventilation des insgesamt U-förmigen Wohnbaus [1].

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Bild 5: Erste Einheit, Durchmesser: linker Schacht: 16 mm, horizontaler Anteil: 25-28 mm, rechter Schacht: 21 mm. Das Foto kann durch Anklicken vergrößert werden.

 

Von dieser primären Einheit zweigt im 90°-Winkel ein dickerer, wieder leicht nach oben gebogener Gang ab, der in einen weiten, zur Sedimentoberfläche führenden Schacht mündet. Betrachtet man diese zweite Einheit für sich (Bild 6), so ist sie identisch zur ersten Einheit aufgebaut, aber insgesamt dicker. Zudem ist zu vermuten, dass der rechte, nach oben führende Schacht der ersten Einheit bei der Anlage der zweiten Einheit verlängert wurde, da nun er der Ventilation des neuen Wohnbaus diente.

 

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Bild 6: Zweite Einheit. Linker Schacht (= rechter Schacht von Einheit 1): 21 mm, horizontaler Anteil: 32-38 mm, rechter Schacht: 31 mm. Das Foto kann durch Anklicken vergrößert werden.

 

Schließlich zweigt von dem weiten zur Oberfläche führenden rechten Schacht der zweiten Einheit ein dritter, leicht nach unten gebogener Gang ab, der an seinem Ende wieder in einen dünnen Schacht mündet und spiegelbildlich zu den beiden anderen Einheiten aufgebaut ist, Bild 7. Der horizontale Anteil schließt mit dem horizontalen Anteil von Einheit 2 einen Winkel von etwa 120° ein. Dieser Winkel ist typisch für Pholeus-Bauten [3], und man kann die Frage stellen, welcher physiologische Sinn die Tiere in die Lage versetzte, ihn in ihren Grabgängen zu reproduzieren.

 

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Bild 7: Dritte Einheit. Linker Schacht: 15 mm, horizontaler Anteil: 30-41 mm (stärker oval), rechter Schacht: 31 mm. Das Foto kann durch Anklicken vergrößert werden.

 

Die tendenzielle Dickenzunahme der Gänge von Bild 5 bis Bild 7 lässt sich im Rahmen des Modells darauf zurückführen, dass das verursachende Tier im Laufe der Zeit wuchs. Insbesondere fällt beim Vergleich mit der Literatur [3] aber auf, dass die dritte Einheit und, mit Abstrichen, auch die ersten beiden Einheiten dem Typ Pholeus abomasoformis gleichen, vgl. Fig. 2 in Ref. [3]. Der gesamte Grabgang erweist sich damit als hierarchisch aus drei aufeinander folgenden Pholeus abomasoformis aufgebaut. Die etwas abweichende Gestalt der ersten beiden Einheiten lässt sich hier mit ihrer Überprägung bei der Anlage der jeweils nächsten Einheit begründen.

In der Gesamtschau ähnelt der Grabbau mit seiner mehrfach Y-förmigen Verzweigung hingegen eher dem Typ Pholeus bifurcatus, vgl. Abb. 4 in Ref. [3]. Die beiden unterschiedlichen Pholeus-Typen lassen sich damit offenbar nicht eindeutig voneinander trennen. Dieser Aspekt, auf den bereits im Rahmen der Forendiskussion hingewiesen wurde, deutet darauf hin, dass die unterschiedlichen Pholeus-Typen auseinander hervorgehen konnten und unterschiedlichen Stadien oder sedimentabhängigen Ausprägungen des Gangbaus entsprechen.

 

Oberflächensignaturen des Grabgangs

Bei näherer Betrachtung der Grabgänge erkennt man flockig-wolkenartige Strukturen in der Größenordnung einiger Millimeter bis Sub-Zentimeter, die dem Pholeus wie in Bild 8 eine unregelmäßige Oberfläche verleihen. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Reste der Auskleidung der Höhlenwände mit Schlamm-Kügelchen [3]. Das Auftreten dieser unregelmäßigen Oberflächen ist ein weiteres Unterscheidungsmerkmal von Pholeus und Thalassinoides [2,3]; letztere zeigen stets glatte Oberflächen.

Die Schlamm-Kügelchen in Pholeus sind wesentlich größer als die oftmals in Rhizocorallium gefundenen, wie in Bild 9 in charakteristischen Spreiten angeordneten Kotpillen. Der Spreitenbau weist dort darauf hin, dass der Erzeuger von Rhizocorallium den Schlamm aktiv nach Nahrung durchsuchte und die Grabhöhlen rückwärtig wieder verfüllte [1]. Bei den Schlamm-Kügelchen in Pholeus-Bauten geht man hingegen davon aus, dass der Bewohner sie zur dauerhaften Stabilisierung der Höhlenwände direkt mit den Mundwerkzeugen formte [7].

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Bild 8: Unregelmäßige Oberfläche von Pholeus durch stabilisierende Schlamm-Kügelchen. Das Foto kann durch Anklicken vergrößert werden.

 

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Bild 9: Rhizocorallium irregulare mit Spreitenbau und kleinen weißen Kotpillen (oben). Das Foto kann durch Anklicken vergrößert werden.

 

In diesem Zusammenhang sei noch kurz auf die „Kratzspuren“ zurückverwiesen, die ursprünglich zur Bergung des Pholeus verleiteten, Bild 10. Diese lassen sich auf drei grundsätzlich verschiedene Arten interpretieren:

Es könnten Spuren des aktiven Sedimentabtrags durch den Bewohner des Grabbaus sein, und damit echte Kratzspuren. Ihre Überlieferung würde dann die Härte des Sediments belegen, in dem der Bau gegraben wurde. Sie finden sich bemerkenswerter Weise nur im tiefsten Teil des Grabgangs, was man zum Beispiel dahingehend deuten könnte, dass sie in höheren Bereichen durch die Auskleidung der Wände mit Schlamm-Kügelchen überdeckt wurden.

Nach Knaust [2,3] erscheint es jedoch ebenso denkbar, dass es sich um sekundäre Grabspuren vom Typ Archaeonassa fossulata handelt, die erstmals in kambrischen Sedimenten auftraten und oftmals mit Raspelspuren von Schnecken identifiziert werden. Eventuell haben hier also bohrende Organismen Hinterlassenschaften des Pholeus-Bewohners aufgearbeitet.

Drittens ist es möglich, dass die Spuren diagenetischer Natur sind und sekundäre Füllkanäle darstellen, die bei der Durchzugsverfüllung des verlassenen Grabbaus mit Sediment zurückblieben (mdl. Mittl. durch KH). Derartige Füllkanäle sind unter anderem auch für Ceratitengehäuse belegt (Link).

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Bild 10: „Kratzspuren“ unklarer Genese: Es könnte sich um Zeugen der Grabungsaktivität des Bewohners des Pholeus handeln, um sekundäre Grabspuren des Typs Archaeonassa fossulata oder alternativ um sekundäre Füllkanäle, die bei der Durchzugsverfüllung des verlassenen Grabbaus zurückblieben.

 

Schließlich findet sich auf einem Großteil der Oberfläche des Pholeus-Grabbaus eine poröse, krustige Lage, Bild 11. In der Vergrößerung erkennt man, dass die Poren gerade Kanten besitzen. Sie gehen damit wahrscheinlich auf im Zuge der Diagenese des Gesteins aus Porenwässern ausgeschiedene nadelige Kristalle zurück, die bei ihrer späteren Lösung Hohlräume hinterließen. Hierbei könnte es sich um Coelestin-Kristalle (SrSO4) gehandelt haben, wie sie in Klüften des Unteren Muschelkalks häufiger gefunden werden.

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Bild 11: Krustige Oberfläche mit Poren. Die Poren haben gerade Kanten und stellen damit vermutlich Lösungshohlräume von Coelestin-Kristallen dar.

 

Fazit

Insgesamt erweist sich der betrachtete Pholeus-Bau aufgrund seiner komplexen Geometrie nicht nur als durchaus attraktives Sammlungsstück, sondern auch als interessantes Untersuchungsobjekt. Die Betrachtung seiner Entstehungsgeschichte kann dabei einige Hinweise auf die Lebensweise seines unbekannten Bewohners liefern. Es wird jedoch ebenso deutlich, dass sichere genetische Interpretationen schwierig sind, solange der Erzeuger eines Spurenfossils nicht sicher bekannt ist.

 

Dank

Ich danke Klaus Heisig (KH) für die Diskussion des Fundes, hilfreiche Tips und die Durchsicht des Manuskripts, sowie den Teilnehmern der Diskussion im Steinkern-Forum für Ihre Anregungen, mich näher mit dem Spurenfossil Pholeus zu beschäftigen.

 

Literatur

[1] D. Knaust, J. Szulc, A. Uchmann: Spurenfossilien in der Germanischen Trias und deren Bedeutung, in: Trias – eine ganz andere Welt, Pfeil-Verlag, München, 1999, S. 232-233.

[2] D. Knaust: Invertebrate trace fossils and ichnodiversity in shallow-marine carbonates of the German Middle Triassic (Muschelkalk), SEPM Special Publications 88 (2007) 223.

Link: https://www.researchgate.net/publication/282592255

[3] D. Knaust: Ichnogenus Pholeus Fiege, 1944, revisited, J. of Palaeontology 76 (2002) 882.

Link: https://www.researchgate.net/publication/305887266

[4] C. Neto de Carvalho, P. Andrade Viegas, M. Cacha: Thalassinoides and its producer: Populations of Mecochirus buried within their burrow systems, Boca do Chapim Formation (Lower cretaceous), Portugal, Palaios 22 (2007) 107.

Link: https://www.researchgate.net/publication/240778859

[5] M. Hyzny: In situ mud shrimps (decapoda: Axiidea: Callianassidae) preserved within their burrows from the middle Miocene of the Central Paratethys, Bull. Mizunami Fossil Museum 37 (2011) 37. [Kurzer Review direkt fossil in ihren Höhlen nachgewiesener Decapoda verschiedener Erdzeitalter]

Link: https://www.researchgate.net/publication/251236701

[6] A. Hachmeister, Fakten zum Hummer, NDR

Link: http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/die_reportage/Fakten-zum-Hummer,hummer172.html

[7] A. Seilacher, Trace Fossil Analysis, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, 2007, p52-54.