Paläogen, Neogen und jünger

Highlight eines Decapoden-Sammlers: „Andrea“, ein Hummer vom Lybystrand

Liebe Steinkerne,

die Hoffnung auf das Außergewöhnliche treibt wohl jeden von uns an, wenn er sich auf die Fossilienjagd begibt. Oft bleibt es dann bei gewöhnlichen Funden. Mit etwas Glück entdeckt man auch die eine oder andere Art, die es nicht alle Tage zu finden gibt, die aber letztendlich doch allgemein bekannt ist.

Ich selbst bin nun seit zirka 25 Jahren in Sachen Lybystrand-Fossilien unterwegs. Gut erhaltene fossile Decapoden gab es bisher in unregelmäßigen Abständen zu finden und mit sehr viel Glück auch sehr seltene weitere Elemente von Fauna und Flora der oberoligozänen Schichten.

Nachdem sich das Orkantief "Andrea" im Limfjordgebiet ausgetobt hatte, sollte sich am 9. Januar 2012 alles ändern. An besagtem Tag wurde die Hoffnung auf das Außergewöhnliche für mich Wirklichkeit. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte ich niemals davon zu Träumen gewagt – wie auch? - so einen Fund, wie den hier vorgestellten, hatte es bisher ja noch nicht gegeben.

 

Die Fundsituation:

Kurz vor dem Sonnenaufgang setzte heftiges Schneetreiben ein und am Strand angekommen lag nur ein schmaler begehbarer Pfad frei. Der Wellenschlag, verbunden mit einem erhöhten Wasserstand und mit umgestürzten Bäumen, machte die ganze Angelegenheit zu einer mühseligen Kletterpartie. Somit musste ich mich sehr beeilen, da der Schnee auf dem gefrorenen Boden liegen blieb und mir die Sicht auf die wenigen freigelegten Konkretionen verwehrte. Dann bemerkte ich zwei größere Geoden zu meiner linken Seite, die ich auch mitnahm. Zwischen diesen beiden Geoden aber lag auch noch eine längliche flache Konkretion, wie man sie ab und zu finden kann. Aber bisher waren dies allesamt ausnahmslos Nieten. Halbwegs wieder im Begriff weiter zu laufen, schlug ich somit auch recht flüchtig und lustlos darauf, hielt kurz inne, drehte mich wieder um und sah folgenden Querbruch:

 

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Abb. 1: Zentral aufgebrochene Konkretion.

 

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Abb. 2: Strukturen im Querbruch.

 

Da ich schon von anderen Lokalitäten fossile Decapoden präpariert hatte, kam mir dieses Bild gleich bekannt vor und mein erster Gedanke war, dass es sich hierbei vielleicht um Scheren im Querbruch handeln könnte .

Gut, wegschmeißen kann ich es zur Not ja immer noch, war mein erster Gedanke und ich habe daraufhin beide Hälften der Konkretion eingepackt. Vieleicht hatte ich hiermit auch endlich mal eine fossile Hummerschere oder sogar einen Arm gefunden. Diese waren mir bisher in all den Jahren immer verwehrt geblieben.

Zu Hause angekommen, ließ es mir dann einfach keine Ruhe und somit schlug ich die eine Seite der Geode ganz vorsichtig mit dem Hammer auf. Und tatsächlich, ich hatte einen sehr großen Hummerscherenarm gefunden, zumindest glaubte ich zuerst daran. Es sollte aber alles ganz anders kommen.

 

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Abb. 3

 

Am nächsten Tag sah ich mir die andere Hälfte der Konkretion mal etwas genauer an und entdeckte an der Unterseite winzig kleine symmetrisch angeordnete Kreise im Querschnitt: Kann das wirklich sein? Sehe ich da eventuell Beine?

Ein ungeheurer Verdacht kam in mir auf, dann gab es kein Zurück mehr. Vorsichtig öffnete ich nun auch die andere Seite - und tatsächlich. Ungläubig starrte ich auf den Inhalt vor mir, ich hatte es hier tatsächlich mit einem nahezu kompletten Hummer zu tun und das erste Bild von der Schere täuschte mir eine einzige große Schere vor. In Wirklichkeit waren hier aber zwei Scheren zu sehen, die in verschiedenen Ebenen zerrissen waren.

 

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Abb. 4: Links kann man den Schwanzbereich sowie ein Teilstück des Carapax erkennen.

 

 

Danekrae:

Nun war guter Rat teuer! Nachfrage bei Henrik Madsen / Molermuseum - negativ. Bisher waren nur Teilstücke und Scheren gefunden worden.

Was also tun? Ich sah mir die wenigen nicht präparierten Hummerreste in der Sonderraustellung 2012 im Molermuseum an, die von einigen Sammlern als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt wurden. Da Henrik mir versicherte, dass sich bisher auch niemand an die Präparation der ausgestellten Teilstücke herangewagt hatte, nahm ich die Herausforderung an, unter dem erklärten Ziel, die kleinste Bedornung und jede Kleinigkeit, die später mal wichtig sein könnte, bei der Präparation streng zu berücksichtigen. Für einen eventuellen neuen Danekrae-Anwärter sollte nichts unversucht bleiben.

 

Die Präparation:

Für mich war von vornherein klar, dass ich die Konkretion als Ganzes bewahren wollte. Ich konnte sie also nicht nur einfach von oben herunterpräparieren, sondern versuchte den Deckel zu erhalten. Ziel war es, unten die eine Hälfte mit dem Hummer darin und oben der Deckel mit den heraustransferierten Teilstücken als Ergebnis zu erhalten. Diese Entscheidung hat die Arbeit nicht gerade erleichtert, aber nur so konnte ich die Geode quasi in den Fundzustand (zumindest von außen) zurückversetzen.

Da die Konkretion mit Erosionsrissen durchsetzt war, musste ich sie komplett zerlegen.

 

Das ganze Durcheinander habe ich in Abb. 5 festgehalten:

 

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Abb. 5: Scheinbar heilloses Durcheinander nach dem Zerlegen der Konkretion in Einzelteile.

 

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Abb. 6: Auf diesem Foto ist das Hinterteil samt Carapax zu sehen.

 

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Abb. 7: Die zerrissenen Scheren.

 

Nun galt es alles wieder lückenlos zusammen zu setzen.

Unter dem Carapax sind die Beine als Negativabdruck zu erkennen. Sie mussten aus der Gegenseite herausgeschnitten und transferiert werden.

 

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Abb. 8

 

Hier nun die „Beinarbeit“ - die herausgeschnittenen Beine, die ich auf das Negativ geklebt habe.

 

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Abb. 9

 

Anschließend wurde die Matrix herunterpräpariert, solange bis die Beine endlich zum Vorschein kamen. Das Problem am Hummer selbst ist, dass die vier Beinpaare einander gegenüber liegen und allesamt ineinander verschlungen waren. Es galt einen Knoten zu entwirren. Dieser Arbeitsschritt benötigte ungeheuer viel Zeit und jede Menge Geduld

 

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Abb. 10: Arbeit an den verschlungenen Beinen.

 

Nun galt es das "Gesicht" freizulegen. Abdomen, Rostren und sogar das Auge waren noch als feine Schattierung erhalten!

 

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Abb. 11

 

Als nächstes kamen die zerissenen Scheren an die Reihe und ich beschloss den rechten Arm komplett freizupräparieren. Somit wurde eine spätere Ansicht der darunterliegenden Region gewährleistet. Dieser Arbeitsschritt war der schwierigste, denn es galt alle Einzelheiten, Stacheln, Dornen und Kneifzähne zu erhalten.

 

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Abb. 12

 

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Abb. 13

 

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Abb. 14: Der freigelegte Arm.

 

Nachdem alles freigelegt war, wurde alles wieder zusammengeklebt und die Matrix um den Hummer herum fein abgeschliffen.

 

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Abb. 15

 

Das Ergebnis:

Nach rund 140 Stunden Arbeit liegt ein nahezu kompletter Hummer vor uns.

Negativ ist zu vermerken: Die großen Antennen fehlen, die rechte Schere wurde gestaucht und die Oberfläche des Tieres scheint leicht angewittert zu sein. Dies liegt wohl daran, dass das Tier bevor es eingebettet wurde noch einige Zeit lang der Erosion ausgesetzt war.

Es ist aber ohnehin ein echter Glücksfall, dass das Tier überhaupt komplett eingebettet worden ist. Die maximale Konkretionslänge beträgt 31,5 cm.

 

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Abb. 16: Der Hummer in seiner  31,5 cm langen Konkretion nach Fertigstellung der Präparation. Ansicht vergrößern.

 

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Abb. 17: Das Rostrum, darunter - als feine Schattierung sichtbar - das Auge und der Fühleransatz der großen Antenne.

 

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Abb. 18: Teilansicht der kleinen Fraßschere, die sich unter der rechten großen Schere befindet.

 

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Abb. 19: Die ineinander verschlungenen Beine.

 

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Abb. 20: Die Scheren.

 

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Abb. 21: Weitere Ansicht der Scheren.

 

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Abb. 22: Konkretion mit freigelegtem Hummer und Deckel…

 

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Abb. 23: … hier nun wieder verschlossen, um den Ur- bzw. Fundzustand darzustellen.

 

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Abb. 24: Zum Schluss noch ein Foto von der Übergabe am 8. 4. 2013 im Molermuseum bei Henrik Madsen. “Mange tak“ für alles, Henrik!

Die bisher gefundenen Hummerfragmente wurden immer als Homarus sp. abgehandelt. Eventuell gibt dieser Fund neuen Stoff zur Arten-Diskussion, aber ganz gleich was auch passiert – unter uns Insidern hat der Hummer schon längst einen Namen erhalten - „Andrea“, nach dem gleichnamigen Sturmtief, das die Konkretion mit dem Tier freigelegt hat.

Ob dieser Hummer ein Danekrae werden wird, bleibt vorerst abzuwarten. Ich werde diesen Bericht dann zu gegebener Zeit aktualisieren.

 

Ich bedanke mich sehr für Euer Interesse!

 

Axel Cordes

 

Bericht für Steinkern.de / Alle Rechte beim Autor