Paläogen, Neogen und jünger

Das besondere Fossil: Eine seltene Brachiopode vom Doberg b. Bünde

"Rhynchonella" supraoligocaenica GÖRGES 1952, eine sehr seltene Brachiopode aus dem Oberoligozän (Chattium) vom Doberg bei Bünde/Westf.

von O. Schneider, Bremen

- mit 1 Abb. und 1 Taf.


Der Doberg bei Bünde ist bereits seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überregional für seinen enormen Fossilreichtum der hier anstehenden oberoligozänen Schichten bekannt. Funde von dieser klassischen Lokalität liegen in zahlreichen Museen und Sammlungen des In- und Auslandes. Der heute unter Naturschutz stehende Aufschluß wurde bereits an anderer Stelle ausführlich vorgestellt (Artikel Doberg).
Weit über 500 Taxa sind bisher von hier beschrieben worden, darunter ein nicht unerheblicher Anteil an Makrofossilien. Ein besonderes Augenmerk der Sammler richtete sich auf die artenreiche Seeigelfauna und auf die in Schalenerhaltung vorliegenden pectenartigen Muscheln.

Während in zahlreichen paläozoischen und mesozoischen Schichten Brachiopoden oft massenhaft vorkommen und daher von vielen Sammlern kaum des Auflesens für wert erachtet werden, ist diese Tierklasse im norddeutschen Tertiär in der Regel nur selten zu finden. Eine Ausnahme macht hier lediglich die Großbrachiopode Terebratula grandis BLUMENBACH 1803, die in vielen oligozänen Aufschlüssen recht zahlreich vertreten ist. Auch in Bünde ist diese Brachiopodenart nicht selten, meist jedoch schlecht oder nur als Schalenfragmente erhalten. Häufiger fanden sich gute Exemplare im ebenfalls unter Schutz gestellten Oligozänvorkommen von Astrup bei Osnabrück (Abb.1).

Terebratula_grandis.jpg
Abb. 1    Terebratula grandis BLUMENBACH 1803
Oberoligozän, Astrup b. Osnabrück (Maßstab 10mm)
Foto u. Sammlung O. Schneider


Weitere oligozäne Brachiopodenarten sind in Norddeutschland eher die Ausnahme. Aus dem Oligozän der Leipziger Bucht sind neben Schalenresten einer Terebratula-Art kleinwüchsige Brachiopoden mit Terebratulina-Habitus bekannt (MÜLLER 1983). Auch im Oligozänvorkommen des Limburger Raumes wird lediglich eine Terebratulina nysti BOSQUET neben der allgegenwärtigen Terebratula grandis beschrieben (ALBRECHT & VALK 1943).
Aus dem Oberoligozän von Volpriehausen nordwestlich von Göttingen, erwähnte VON KOEHNEN (1909) eine neue, bisher unbekannte Brachiopodenart, jedoch ohne diese zu benennen oder abzubilden. Laut GÖRGES (1952) handelt es sich bei dem genannten Exemplar um ein Bruchstück, bestehend aus dem Wirbel und etwa einem Drittel des ursprünglichen Gehäuses. Eine sichere Art- oder auch nur Gattungszuweisung war damit jedoch nicht möglich. In der gleichen Arbeit beschrieb GÖRGES dann vom Doberg eine neue Brachiopodenart und benannte sie "Rhynchonella" supraoligocaenica. Eine genauere Determinierung konnte jedoch von ihm und anderen Spezialisten in Frankfurt nicht durchgeführt werden. Dazu hätte es einer Darstellung des Armgerüstes bedurft, was die Zerstörung des bisher einzig bekannten, kompletten Exemplares bedeutet hätte und aus diesem Grund auch unterblieben ist. Eine Revision steht bis heute aus. Aus anderen Lokalitäten ist diese Brachiopode bisher nicht beschrieben worden.
GÖRGES bildete 1952 das einzige ihm vorliegende Exemplar in der Dorsal- und Ventralansicht ab. Danach wurde in der reichlich vorhandenen Dobergliteratur diese "Art" lediglich noch mal bei DALLMANN (1995) als Federzeichnung in Dorsalansicht dargestellt, ohne das dabei jedoch typische Erkennungsmerkmale deutlich geworden wären. Er berichtet im gleichen Band weiter über drei ihm vorliegende Exemplar vom Doberg sowie über ein weiteres Stück aus Astrup. Es ist davon auszugehen, dass sich auch in anderen Sammlungen noch Belegstücke dieser Art befinden. Insgesamt wird es sich aber immer nur um vereinzelte Exemplare trotz langer Sammeltätigkeit handeln. Eine weitere fotografische Darstellung hat seit 1952 nicht mehr stattgefunden.
Unklar bleibt, warum einerseits Terebratula grandis BLUMENBACH 1803 im damaligen Oligozänmeer so ausgezeichnete Bedingungen vorfand, die ein solches Größenwachstum und eine große Individuenzahl begünstigte, andererseits weitere Brachiopodenarten in der gleichen Fazies jedoch nur sehr selten auftreten.

Als "besonderes Fossil" wird daher erstmals ein Exemplar der oberoligozänen Brachiopodenart "Rhynchonella" supraoligocaenica GÖRGES 1952 in allen Ansichten dargestellt (Taf. 1). Gefunden wurde das Stück als Lesefund im Bereich des oberen Abschnittes der Unteren Doberg-Schichten, wahrscheinlich aus der Schicht 28 oder 29 (nach HUBACH) stammend. Die doppelklappig und komplett erhaltene Brachiopode ist 15mm hoch und knapp 15mm breit. Der Umriss ist gedrungen dreieckig (Taf. 1 Fig. 1a und Fig. 2). Die Stielklappe (ventral) ist in der Seitenansicht leicht gewölbt, die Armklappe (dorsal) hingegen deutlich gebläht und erreicht ihre größte Höhe in der Mitte (Taf. 1 Fig. 3). Der Wirbel ist spitz zulaufend mit einer kleinen, ovalen Stielöffnung (Taf. 1 Fig. 1b). Am Vorderrand befindet sich ein breiter, konkaver Sinus, der hoch in die Dorsalklappe eingefügt ist (Taf. 1 Fig. 4). Die Schalenoberfläche der Brachiopode weist lediglich unregelmäßige Anwachsfalten auf und ist sonst völlig glatt.

rhynchonella.jpg
Taf. 1    "Rhynchonella" supraoligocaenica GÖRGES, 1952
Oberoligozän, Untere Doberg-Schicht
Doberg bei Bünde
Fig. 1a Dorsalansicht auf Armklappe, Fig. 1b Wirbelregion in Dorsalansicht, Fig. 2 Ventralansicht auf Stielklappe, Fig. 3 Seitenansicht, Fig. 4 Vorderansicht auf den breiten Sinus, Fig. 5 Hinteransicht auf die Wirbelregion
Länge 15mm, Breite 15mm, größte Höhe 9mm. Foto u. Sammlung O. Schneider




An diesem Beispiel mag deutlich werden, dass auch unscheinbare Funde, die an anderer Stelle keine Aufmerksamkeit erregen würden, kleine Kostbarkeiten sein können!


Literatur:

Albrecht, J. C. H. & Valk, W. (1943): Oligocäne Invertebraten von Süd-Limburg - Meded. Geol. Sticht., Serie C-IV-1-No.3, Maastricht; S.15

Dallmann, G. (1995): Vorzeitliche Meeresspuren im Osnabrücker Bergland und in Ostwestfalen-Lippe, Leopoldshöhe (Heka); S. 47 Taf. 1 Fig. 5

Görges, J. (1952): Neue Invertebraten aus dem norddeutschen Oberoligozän - Paläont. Z., 26 (1/2), Stuttgart; S. 5 - 6

Koehnen, A. von (1909): Das Tertiärgebirge des nordwestlichen Deutschlands - Jahresber. Nieders. Geol. Ver. Hannover, Hannover; S. 92

Müller, A. (1983): Fauna und Palökologie des marinen Mitteloligozäns der Leipziger Tieflandbucht (Böhlener Schichten) - Altenburger Naturwiss. Forsch., 2, Altenburg; S. 25