Kreide

Das besondere Fossil: Abdruck eines Schwammkörpers auf einer Oberkreideauster (Bioimmuration)


Bioimmuration einer ventriculitiden Spongie durch Hyotissa semiplana (SOWERBY, 1825) (Gryphaeidae, Holtwick-Formation, Unter-Campan)

 

von Oliver Schneider, Bremen



Es ist leider eine Tatsache, daß unser Bild der bekannten fossilen Tier- und Pflanzenwelt ewig unvollständig bleiben wird. Unter normalen Umständen haben nur Hartteile wie z.B. Knochen oder Schalen eine Chance, fossil erhalten zu bleiben. Lebewesen, die zum großen Teil oder sogar komplett aus leicht vergänglichen Weichteilen bestehen, werden nie oder nur unter günstigen Verhältnissen fossil überliefert werden. Lagerstätten die aufgrund ihrer Sedimentationsbedingungen die Voraussetzung für Weichteilüberlieferung bieten (Burgess Shale, Bundenbacher Schiefer, Solnhofer Schiefer, Bernstein) sind die Ausnahme. Die Erhaltungsfähigkeit eines Organismus nach seinem Tod ist also in großem Maße abhängig vom Einbettungsmilieu und den jeweiligen Sedimentationsbedingungen.
So ist es möglich, daß Tiergruppen gleichen geologischen Alters und sogar räumlicher Nähe in unterschiedlichen Sedimentarten in dem einen Gestein häufig, in dem anderen überhaupt nicht nachgewiesen werden können.

Es gibt jedoch Umstände, in denen auch vergänglichen Organismen bzw. sonst nicht erhaltungsfähige Oberflächenstrukturen nachzuweisen sind. Eine davon ist das Phänomen der Bioimmuration, die "Ummauerung" der Oberfläche eines noch lebenden Tieres durch einen anderen Organismus. Bekanntlich gibt es eine Reihe mariner Lebewesen, die sich mangels geeigneter Hartgründe einen anderen Organismus als Substrat suchen, sog. Epibionten. Es kann sich hierbei um die Hartteile abgestorbener Individuen handeln (leeres Ammonitengehäuse, Seeigelcorona), aber eben auch um die Oberflächen noch lebender Exemplare. Solche epibiontisch wachsenden Tiere können Foraminiferen, Schwämme, Korallen, Serpuliden, zementierende Brachiopoden, Bryozoen, Austern oder austernähnliche Muscheln sein. Am häufigsten beschrieben ist dieses Phänomen allerdings bei Serpuliden, cyclostome Bryozoen und Austern. Als vergängliches und in vielen Sedimenten nicht überlieferungsfähiges Substrat dienen bevorzugt u. a. Algen, Wasserpflanzen, Schwämme, Hydrozoen und ctenostome Bryozoen.

Als Larve besiedelt der Epibiont, z.B. die Auster, das geeignete Substrat, heftet sich mit der flachen rechten Klappe fest und formt im Laufe des Wachstums die Oberfläche des Substrates oft bis in alle Einzelheiten und mit hoher Wiedergabetreue in der Negativform, gleichsam als Abdruck, nach. Muscheln, also auch Austern, wachsen mit einer Geschwindigkeit von etwa 0,27-0,62mm pro Tag. Der Negativabdruck wird während der Wachstumsperiode des Tieres geformt. Gerade bei vergänglichen Oberflächen ist es also wichtig, daß diese Periode möglichst kurz oder das Substrat möglichst klein ist. Nur so können, bevor der Verfall des Substrates einsetzt, die besten "Kopieergebnisse" gewährleistet werden. Grundsätzlich besteht natürlich auch die Möglichkeit, wie im vorliegenden Fall, die Besiedlung am lebenden Objekt. Sichtbar wird der Abdruck natürlich nur, wenn das inkrustierende Lebewesen sich später vom Objekt löst, oder aber das Substrat verfällt.

Das Austern auf ihrer rechten Klappe einen Negativabdruck des überwachsenden Substrates erzeugen können, ist den meisten Sammlern bekannt. Fast jeder hat ein solches Beispiel in seinem Sammlungsschrank. Das dieses Phänomen aber auch geignet ist, neue und vergängliche Faunen- und Florenanteile einer Fazies nachzuweisen, ist lange auch in Wissenschaftskreisen wenig beachtet worden. Dieses Phänomen wurde daher erst 1961 eingehender von Vialov beschrieben, und lediglich Erhard Voigt hatte ab 1956 diese Überlieferungsart konsequent weiter verfolgt und in zahlreichen Publikationen aufgeführt. In der jüngeren Vergangenheit hat Taylor dieses Thema erneut aufgegriffen und vertieft.
Taylor unterscheidet dabei drei grundsätzliche Typen der Bioimmuration:

1. Substrat Bioimmuration: Häufigste und bekannteste Form. Hier wächst der inkrustierende Organismus einem Substrat (andere Muschel, Ammonit, Pflanze usw.) auf und bildet auf der anwachsenden Unterseite eine Negativform der Oberflächenstruktur nach

2. Epibiont Bioimmuration: Hier sitzt ein Epibiont direkt einem Substrat auf (z.B. Bryozoe auf Ammonitengehäuse) und wird selbst wiederum von einem weiteren, größeren Epibionten (z.B. Auster) überwachsen.

3. Bioklaustration: Hier umwächst der Epibiont im Verlauf des Wachstums das eigentliche Substrat und nimmt ihn somit umschließend in seinem Skelett auf (z.B. Koralle auf kleinerem Schwamm, im Verlauf dann Intregration des Schwammkörpers in den Korallenstock)

Am häufigsten und aufgrund der Größe auch am aussagekräftigsten sind Beispiele von Bioimmuration an Austernklappen.

"Das besondere Fossil" ist diesmal daher auch eine doppelklappig erhaltenen Auster aus der Familie der Gryphaeidae. Hyotissa semiplana (J. SOWERBY, 1825), eine in den Sedimenten der nordwestdeutschen Oberkreide nicht seltene Austernspezies (Abb. 1 - 3).
Der Fund stammt aus der Tongrube der Wienerberger Ziegelwerke bei Buldern westl. Dülmen/Westfalen im zentralen Bereich des Münsterländer Kreidebeckens. In der Grube stehen fossilarme dunkelgraue, schluffig-feinsandige und ungeschichtete Tonmergel der Holtwick-Formation (Untere Osterwicker-Schichten n. Arnold 1964, Oberes Untercampan, quadrata-gracilis-Zone) an. Die Ablagerungen erfolgten am Übergang zur Tiefschelffazies. Neben Belemniten der Gattung Gonioteuthis finden sich schlecht erhaltene Steinkerne einer artenarmen Bivalven- und Gastropodenfauna. Cephalopoden und Echiniden sind selten. Lediglich Calcitschaler der Gattung Inoceramus sowie Austern und Pectiniden liegen in Schalenerhaltung vor. Bekannt wurde die Grube durch eine diverse Vertebratenfauna (Müller 1989). Schwämme wurden in der Tonmergelfazies bisher nicht nachgewiesen (Müller 1993). Die zeitgleich abgelagerten, weiter nordöstlich im Raum Legden-Darfeld-Coesfeld anstehenden Kalkmergelsteine der Holtwick-Formation als Ausdruck einer flach-marinen Schelffazies sind hingegen überregional bekannt für ihre arten- und individuenreiche Schwammfauna.

Abb. 1-3 zeigen die linke und rechte Klappe der Auster. Während die freie linke Klappe wiederum anderen Austern als Substrat diente, zeigt sich auf der dem ursprünglichen Substrat zugewandten rechten Klappe deutlich der Negativabdruck eines Schwammes mit noch erkennbarer Körperform. Die gut zu erkennenden Ostien sowie deren Stellung zueinander (Abb. 4-5) machen eine ungefähre Zuordnung in die Familie Ventriculidae möglich.

Die Auster Hyotissa semiplana gehört in Buldern neben den Belemniten zu den häufigsten Funden und ist in der Regel immer doppelklappig erhalten. Es ist daher, auch aufgrund der relativen Schwere der dickschaligen Klappen, entgegen Müller (1993) nicht von einer Verdriftung der Schalen auszugehen.  Aufgrund des vorliegenden Exemplares kann vielmehr davon ausgegangen werden, daß trotz des relativ lebensfeindlichen Mileus der beckennahen Tonmergelfazies vereinzelt Schwämme vorkamen.

IMG_4288__768_x_576_.jpg
Abb. 1
Hyotissa semiplana, freie linke Klappe. Wiederum als Substrat für weitere Ostreen dienend. (Länge ca. 70mm)


IMG_4283__768_x_576_.jpg
Abb. 2
Hyotissa semiplana, ehemals aufsitzende rechte Klappe. Deutlich erkennbar, die Form und das Relief der ehemals "ummauerten" ventriculitiden Spongie (Höhe 70mm)

IMG_4287__768_x_576_.jpg
Abb. 3
Hyotissa semiplana, Innenansicht der rechten Klappe.  (Höhe 70mm)

IMG_4284__768_x_576_.jpg
Abb. 4
Detailaufnahme der linken Klappe mit Schwammrest und Negativabdruck der ehemaligen Schwammoberfläche. (Ausschnitt 30mm)

IMG_4285__768_x_576_.jpg
Abb. 5
Detailansicht (Ausschnitt 20mm)

Alle Fotos und Slg. O. Schneider


Literatur

Arnold, H. (1964): Die höhere Oberkreide im nordwestlichen Münsterland (in: Aspekte der Kreide, Hrsg. H. Arnold) - Fortschr. Geol. Rheinld. u. Westf., 7; S.649-678, 6 Abb., 3 Tab., Krefeld

Müller, A. (1989): Selachier (Pisces: Neoselachii) aus dem höheren Campanium (Oberkreide) Westfalens (Nordrhein-Westfalen, NW-Deutschland) - Geol. Paläont. Westf., Heft 14, Münster

Müller A. (1993): Geologisch-Paläontologische Aufschlußaufnahme und Dokumentation der Ziegelgruben bei Buldern - Geol. Paläont. Westf., Heft 22, Münster

Taylor, P. D. (1990): Preservation oft soft-bodied and other organisms by bioimmuration - a review - Palaeontology, Vol. 33 (1), London

Vialov, O. S. (1961): Phenomena of vital immuration in nature - Dopovidi Akademi Nauk Ukrayin´ skoi RSR, 11, Kiew

Voigt, E. (1966): Die Erhaltung vergänglicher Organismen durch Abformung infolge Inkrustation durch sessile Tiere - N. Jb. Geol. Paläont. Abh., Bd.125 (Festband Schindewolf), Stuttgart

Voigt, E. (1968): Über Immuration bei fossilen Bryozoen dargestellt an Funden aus der Oberen Kreide - Nachr. Akad. Wissenschaft. Göttingen, II. Math. Kl., Göttingen

Voigt, E. (1983): Fossilerhaltung durch Bioimmuration: Aetea (Lamouroux) (Bryozoa Cheilostomata) aus dem Mittelmeerraum (Pliozän - rezent) - Facies, 9, Göttingen