Mittlerer Jura
Rekonstruktion eines kurzen Augenblicks vor 169 Millionen Jahren
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- Kategorie: Mittlerer Jura
- Veröffentlicht: Dienstag, 28. Oktober 2025 21:00
- Geschrieben von Leif Beckmann
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Nahezu jeder Fossiliensammler kennt die Muscheln der Familie Trigoniidae. Durch ihre charakteristische Ornamentierung sind sie unverwechselbare Muscheln. Im Jura waren sie besonders verbreitet und treten an einigen Lokalitäten sogar häufig bis massenhaft auf.
Im Februar 2025 konnte ich auf der Bielefelder Fossilienbörse eine sehr gut erhaltene Einzelklappe einer Trigonia interlaevigata aus dem Bajocium (Mitteljura) von Velpe (Tecklenburger Land) für nur 25 Euro kaufen.
Abb. 1: Trigonia interlaevigata aus Velpe (Tecklenburger Land), Einzelklappe. Die Schale ist 10 x 7,5 cm groß.
Ich wollte mit diesem schönen Stück irgendetwas anfangen, was über die bloße Aufbewahrung als Sammlungsstück hinausging. Aufgrund des guten Zustands nahm ich das Fossil mit zur Arbeit und scannte es dort mit dem 3D-Scanner ein. Mit dem 3D-Programm Blender konnte ich das Gestein virtuell entfernen, kleine Beschädigungen der Schale ausbessern und die fehlende zweite Klappe durch Spiegeln der vorhandenen ergänzen.
Ich wollte versuchen, eine „lebende“ Trigonia als Modell herzustellen und strebte eine möglichst authentische Rekonstruktion an. Ich war überrascht, dass es über die Gattung Trigonia eher wenig an Forschungsarbeiten zu finden gibt, aber ein paar Informationen konnte ich dann doch zusammentragen.
Im Anschluss entstand recht schnell ein 3D-Modell. Da der Bauplan der Muscheln relativ simpel ist und er damals zumindest nicht signifikant anders gewesen sein wird als heute, war es nicht allzu schwierig.
Abb. 2: Das Ergebnis der digitalen Rekonstruktion.
Zu erkennen ist in Abb. 2 die etwas geöffnete Schale und der Mantel, der die Innenseite auskleidet. Am vorderen Ende sind die Ausströmöffnung und die Einströmöffnung zu sehen. Viele Muscheln haben dort feine Wimpern als Schutz vor Fremdkörpern, die eingesaugt werden könnten. Am unteren Ende sieht man den Fuß, den die Muschel benutzt, um sich im Sediment einzugraben.
Der Mantelrand ist bei den rezenten Nachfahren, den Neotrigonien, wohl mit kleinen Tentakeln gespickt. Leider konnte ich kein Foto davon finden. Bei den deutlich größeren und im Sediment eingegrabenen Trigonien scheinen mir solche Tentakel jedoch keinen Sinn zu machen. Ich vermute, die Tentakel haben sich erst später entwickelt(?).
Abb. 3: Das mit dem 3D-Drucker ausgedruckte und bemalte Trigonia-Modell.
Die Farbgebung ist leider nur Fantasie, denn mir ist nicht bekannt, ob es fossile Trigonien mit Farbmustererhaltung gibt. Der Teil der Trigonia, der sich oberhalb des Sediments befand, damit die Muschel atmen konnte, wurde mit einer dunkleren Tarnfärbung versehen.
Abb. 4
Abb. 5: Mantelrand und Fuß in der Ansicht von unten.
Abb. 6: Rekonstruktion und Fossil in der Gegenüberstellung.
Abb. 7: Am vorderen Ende der Oberseite erkennt man die Einströmöffnung, durch welche die Trigonien das Wasser ins Innere zu den Kiemen pumpten, und dahinter die Ausströmöffnung, durch die das Wasser wieder ausgestoßen wurde.
Als nächstes war für mich noch das Aussehen der Innenseite mit dem Muschelschloss wichtig. Da diese Seite bei meinem Exemplar nicht freipräpariert ist, machte ich mich online auf die Suche nach geeigneten Vorlagen. Auf der 3D-Plattform Sketchfab.com konnte ich ein paar Scans von Trigonia interlaevigata und sogar einzelne, auf der Innenseite freipräparierte Schalen finden. Auch im dortigen Steinkern-Kanal gibt es ein animiertes Modell einer doppelklappigen Trigonia aus Velpe, welches Jan Tünnermann vor Jahren für einen Artikel in Heft 29 der Steinkern-Zeitschrift angefertigt hat.
Aus den gesammelten Daten rekonstruierte ich ein Modell, das – nachdem die digitale Tüftelei zu meiner Zufriedenheit beendet war – nur noch ausgedruckt und bemalt werden musste.

Abb. 8: Rekonstruktion einer doppelklappigen Trigonia.
Abb. 9: Innenansicht einer einzelnen Klappe.
Die Position, in der die Trigonien im Sediment eingegraben lebten, ist bekannt, da sich auf dem Schalenbereich, der sich außerhalb des Sediments befand, des Öfteren Röhrenwürmer ansiedelten.

Zeichnung aus „Juwelen des Jurameeres: Trigonien aus Anwil“ (Bitterli-Dreher 2017).
Zuerst war meine Überlegung, ein Diorama mit verschiedenen Fossilienrekonstruktionen anzufertigen. Allerdings wird ein Diorama recht groß, wenn man einen vernünftigen Ausschnitt eines Habitats rekonstruieren möchte und somit auch sehr aufwändig und teuer. Es wirkt dann leider oft auch etwas künstlich, gerade wenn man ein aquatisches Diorama herstellen möchte. Ein Diorama in einen 200 Kilogramm schweren Block aus klarem Kunstharz einzugießen, also quasi ein Kunstharz-Aquarium herzustellen, wäre technisch zwar möglich gewesen, war für mich aber keine wirkliche Option.
Mir gefiel die Idee besser, Modelle anzufertigen und sie draußen in der Natur zu fotografieren und auch Unterwasserfotos zu machen. Dafür habe ich für meine kleine Kamera mit meinem 3D-Drucker ein wasserdichtes Gehäuse hergestellt.
Nun hieß es nur noch, ein Gewässer zu finden, in dem sich alles für ein paar schöne Fotos gut arrangieren lässt.
Ein sonniger Samstagvormittag, irgendwo im Bajocium vor etwa 169 Millionen Jahren
Die Abbildungen 10 bis 12 zeigen die „lebende“ Trigonia, eingegraben am Meeresgrund in einem Flachwasserbereich.

Abb. 10: In einem Milieu mit vielen Geröllen.
Abb. 11: Im Sandboden.

Abb. 12: An einer anderen Stelle im Schlamm. Dieses Habitat entspricht von der Sedimentbeschaffenheit her am ehesten jenem während der Ablagerung der Velper Trigonien.
Abb. 13: Zur Rekonstruktion der Trigonien mussten die noch heute lebenden Neotrigonien und rezente Muscheln (wie diese Teichmuschel) herhalten, fotografiert in einem Kiesteich bei Vlotho.
Da ich schon viele 3D-Rekonstruktionen von Ammoniten durchgeführt habe, wollte ich noch ein Ammonitenmodell mit einbringen. Eine leere Ammonitenschale im Sediment erschien mir ganz passend. Ich entschied mich für eine Parkinsonia parkinsoni, denn diese passt in die Zeit, in der die Velper Trigonia lebte (die Trigonia stammt aus der Parkinsoni-Zone des Bajociums).
Es ist dann auch tatsächlich ein ganz schönes Modell geworden, das sich relativ gut kolorieren ließ. Die Ammonitengattung Parkinsonia kennen sicher viele Sammler. So ist etwa der Steinbruch Winnberg bei Sengenthal, der für seine großartig erhaltenen Fossilien bekannt ist, bekannt für das Vorkommen von Parkinsonia, die dort zu den am häufigsten vorkommenden Ammoniten zählt. Das Anfertigen des Modells war also auch eine kleine Hommage an Sengenthal. Auch in Velpe, dem Fundort der Trigonia, kamen Parkinsonien in den Trigonien-Schichten vor. Die Gehäuse der Ammoniten waren dort jedoch, anders als jene der Muscheln, meistens flachgepresst.

Abb. 14: Parkinsonia parkinsoni aus Sengenthal, Originalfossil auf typischer Eisenoolith-Matrix.
Über den Weichkörper von Ammoniten ist leider nach wie vor sehr wenig bekannt, darum beschränkte ich mich in diesem Fall auf die Rekonstruktion der Schale.
Abb. 15: So sieht das ausgedruckte und bemalte Modell aus.

Abb. 16: Ein Blick auf den Venter.
Im Umgang mit Farben und der Airbrush-Technik tue ich mich etwas schwer – das ist nicht so mein Ding. Trotzdem hoffe ich, dass die Farbe und das Muster realistisch geworden sind. Die Farben und Farbmuster der Ammoniten waren sicherlich sehr vielfältig. Von einigen Arten sind Farbmuster bzw. die zugehörigen Pigmentgruben fossil erhalten geblieben. Radiale Streifenmuster kamen bei vielen Ammonitenarten der Trias und des Jura vor. Über die tatsächlichen Farben ist bislang allerdings nichts bekannt. Ich habe bewusst die Farben weiß und rotbraun benutzt, da diese gerne in Anlehnung an den rezenten Nautilus für Rekonstruktionen verwendet werden. Ein Experiment, wie die Bemalung in tieferem Wasser wirkt, müsste man noch durchführen...
Im Idealfall wurden die Schalen toter Tiere schonend sedimentiert und für Millionen von Jahren nie wieder aufgedeckt – bis zur Anlage eines Steinbruchs oder einer Tongrube in unserer Zeit oder bis zur Freilegung durch natürliche Erosion, z. B. an Steilküsten, in Bachläufen oder in Gebirgen. Die Überlieferung eines intakten Fossils ist die Ausnahme und ein Glück für uns Fossiliensammler, denn die meisten Schalen wurden erosiv oder durch Lösungsprozesse zerstört und fossilisierten nicht bzw. nicht als Ganzes.
Abb. 17
Abb. 18
Abb. 19
Wird eine Schale in einem Meeresbecken dauerhaft von Sediment bedeckt, hat sie eine reelle Chance zum Fossil zu werden und Millionen Jahre zu überdauern.
Abb. 20
Wurde ein Ammonit oder eine Muschel dagegen von der Brandung an einer Küste angespült, war die Wahrscheinlichkeit das die empfindliche Schale intakt blieb, wegen der hohen Wellenenergie äußerst gering. An heutigen Stränden kann man beobachten, wie Molluskenschalen innerhalb relativ kurzer Zeit erosiv zu Schalengrus zermahlen werden.
Abb. 21
Abb. 22
Abb. 23
Muscheln sind faszinierende Tiere. Als Kind habe ich ihre Schalen leidenschaftlich am Strand gesammelt und als Jugendlicher Teichmuscheln in austrocknenden bzw. abgelassenen Teichen gesucht. Die leeren Schalen sind schöne Sammlerstücke und die Lebenden habe ich versucht zu retten und in den eigenen Gartenteich gesetzt. Es war interessant zu beobachten, wie sie sich selber wieder in den Boden eingruben und man nur einen kleinen Teil von ihnen über den Boden hinausragen sah, über den sie stetig das Wasser filterten.
Die eingegrabene Lebensweise vieler Muscheln begünstigt im Übrigen auch ihre fossile Erhaltungsform gegenüber Tieren, die frei in der Wassersäule schwimmen oder auf dem Meeresgrund leben – sie sind sozusagen bereits „werksmäßig“ von etwas Sediment bedeckt. Sind Muscheln doppelklappig überliefert und stecken sie in Lebendposition im Sediment, kann man sich recht sicher sein, dass sie tatsächlich an Ort und Stelle starben und nicht umgelagert wurden.
Resümee
Es hat mir Spaß gemacht, mich mit den Trigonien etwas intensiver auseinanderzusetzen und ein neues Modell anzufertigen, um es als lebensnahe Rekonstruktion in einer Annäherung an das natürliche Habitat für ein paar schöne und realistische Fotos in Szene zu setzen. Dafür eignen sich Modelle aus dem 3D-Drucker sehr gut.
Das genaue Aussehen bleibt zwar Spekulation, aber ich hoffe, dass ich mit diesem kleinen Bericht die „Allerweltsmuschel“ Trigonia auf eine Weise zeigen konnte, wie man sie bisher noch nicht gesehen hat.
Literatur
Bitterli-Dreher, P. (2017): Juwelen des Jurameeres: Trigonien aus Anwil / Joyaux de la mer jurassique: les trigonies d’Anwil, in: Schweizer Strahler 3/17, S. 9-24.
Weidemeyer, S. (2006): Trigonien – „Die Herzmuscheln des Mesozoikums“, Steinkern.de, URL: https://www.steinkern.de/vermischtes/775-trigonien-die-herzmuscheln-des-mesozoikums.html
Redaktioneller Hinweis:
Wer sich für den Workflow interessiert, auf dessen Basis Leif Beckmann die 3D-Modelle erstellt, findet hierzu Infos in einem umfangreichen Artikel mit dem Titel „Vom fossilen Ammoniten über die digitale Rekonstruktion zum haptischen 3D-Modell“ Heft 63 der Steinkern-Zeitschrift, das im Oktober 2025 erschienen ist.
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