Bernsteinvorkommen in Indien und die Kontinentaldrift

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Thomas_
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Bernsteinvorkommen in Indien und die Kontinentaldrift

Beitrag von Thomas_ » Dienstag 26. Oktober 2010, 19:47

Die folgende Pressemitteilung stammt von der Uni Bonn
Quelle: http://www3.uni-bonn.de/Pressemitteilungen/271-2010



Riesiges Bernsteinvorkommen in Indien entdeckt Eingeschlossene Insekten zeigen: Der Subkontinent war längst nicht so lange isoliert wie gedacht

Seit zwei Jahren untersuchen Forscher der Universität Bonn zusammen mit indischen und US-Kollegen Bernsteinfunde aus dem Nordwesten Indiens. Inzwischen zeigt sich, dass es weltweit möglicherweise eines der größten Bernsteinvorkommen ist, das bislang entdeckt wurde. Die in das fossile Harz eingeschlossenen Insekten werfen ein neues Licht auf die Geschichte des Subkontinents: Dieser scheint längst nicht so lange isoliert durch die Weltmeere gedriftet zu sein wie bislang vermutet. Die Forscher berichten in der Zeitschrift PNAS über den 50 Millionen Jahre alten Schatz, der erst ansatzweise gehoben ist (doi: 10.1073/pnas.1007407107).

Wer stolz darauf ist, einen Bernstein mit einem darin eingeschlossenen Tierchen sein Eigen zu nennen, der sollte jetzt vielleicht nicht weiter lesen: Was da im Jahrmillionen alten Baumharz zu sehen ist, ist nämlich praktisch immer nur eine hauchdünne Fassade. Würde man den Stein auseinander sägen, fände man nichts weiter als einen Hohlraum, ausgekleidet mit einer Art „Insekten-Fototapete“.

Anders sieht es mit dem Bernstein aus, den der Bonner Paläontologe Professor Dr. Jes Rust und seine Kollegen seit zwei Jahren untersuchen. Die an Kräuterbonbons erinnernden Brocken haben es im wahrsten Sinne des Wortes in sich: Sie enthalten zahlreiche Insektenleichen, die trotz ihrer 50 Millionen Jahre währenden Gefangenschaft teilweise extrem gut erhalten sind. Noch besser: Das versteinerte Harz lässt sich auch noch sehr leicht dazu überreden, seinen Inhalt wieder freizugeben. „Der Bernstein ist nur unvollständig polymerisiert und lässt sich daher leicht auflösen“, erklärt Rust. Mehr als 700 Gliederfüßer aus 55 verschiedenen Tierfamilien haben die Forscher darin bislang gefunden – größtenteils Insekten, aber auch Spinnen, Milben und Pflanzenreste.

Die unansehnlich braunen Brocken stammen von der Küste der nordwestindischen Provinz Gujarat. Ihr Inhalt wirft ein neues Licht auf die Geschichte des Subkontinents: Dieser soll nämlich vor 160 Millionen Jahren von der ostafrikanischen Landmasse „abgebrochen“ und dann isoliert durch die Weltmeere gedriftet sein – mit einem hohen Tempo von etwa 20 Zentimetern pro Jahr. Erst vor etwa 50 Millionen Jahren ist Indien dann mit Asien zusammen gestoßen. Bei diesem Crash hat sich der Himalaja aufgefaltet.

Wenn das so stimmt, müsste Indien einhundert Millionen Jahre lang völlig isoliert gewesen sein. Diese Zeit müsste gereicht haben, um eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt entstehen zu lassen. Der indische Bernstein ist vor 53 Millionen Jahren entstanden. Ähnlich wie ein uraltes Foto zeigt er also, wie das Leben in Indien kurz vor dem Zusammenstoß mit dem asiatischen Kontinent aussah. Diese Momentaufnahme sollte dann also eigentlich vor allem Tierarten zeigen, die es anderswo nicht gibt.

Insel-Hopping vor dem großen Crash

Genau das tut sie aber nicht: Ähnliche Insekten-Fossilien wie in Gujarat wurden auch in Europa oder gar in Mittelamerika gefunden. „Das spricht dafür, dass es schon lange vor Entstehung des Bernsteins einen regen Artenaustausch gegeben hat“, spekuliert Rust. Möglicherweise gab es damals an der Grenze zwischen den Kontinentalplatten lange Ketten vulkanischer Inseln, ähnlich wie heute in Japan oder Indonesien. Per „Insel-Hopping“ könnten sich so die Insektenarten in Indien und Asien vermischt haben – und das schon viele Millionen Jahre vor dem großen Crash. Von Asien aus hätten sie sich dann weiter ausgebreitet.

Auch der Bernstein als solcher wirft Rätsel auf: Dass Pflanzen oder Tiere im Baumharz kleben bleiben und schließlich davon umschlossen werden, passiert nämlich ziemlich häufig. Normalerweise verwesen sie dann jedoch mit der Zeit. „In unserem Bernstein scheint dagegen irgendein Bestandteil des Harzes die Insekten imprägniert zu haben“, sagt Rust.

Zudem stammt das Harz augenscheinlich von Bäumen aus der Familie der Flügelfruchtgewächse, die ihren Verbreitungsschwerpunkt heute im indo-malayischen Raum haben. Bislang dachte man, dieser Pflanzentypus habe seine Blütezeit vor 25 Millionen Jahren erlebt. Jes Rust: „Der indische Bernstein beweist, dass dort bereits vor mehr als 50 Millionen Jahren ausgedehnte tropische Wälder von Flügelfruchtgewächsen existiert haben müssen. Das ist ein große Überraschung.“


Kontakt:
Prof. Dr. Jes Rust
Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie
Telefon: 0228/73-4842
E-Mail: jrust@uni-bonn.de
Dateianhänge
Indien4.jpg
Als Schmuckstücke eignen sich die unansehnlich-braunen Brocken eher weniger. (c) Frank Luerweg, Universität Bonn
Indien4.jpg (91.55 KiB) 27402 mal betrachtet
Indien3.jpg
Professor Rusts Mitarbeiterin Frauke Stebner mit einem Stück Bernstein, das winzige Insekteneinschlüsse enthält. (c) Frank Luerweg, Universität Bonn
Indien3.jpg (75.36 KiB) 27402 mal betrachtet
indien2.jpg
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Schildlaus mit ungewöhnlichen Augen, die im indischen Bernstein eingeschlossen war. (c) Steinmann-Institut, Universität Bonn
indien2.jpg (111.16 KiB) 27402 mal betrachtet
Indien1.jpg
Der indische Bernstein enthält noch komplett erhaltene Insekten - eine extreme Rarität. Normalerweise sind die Einschlüsse komplett verwest; was man sieht, ist in der Regel nur eine hauchdünne „Insekten-Tapete“. Die Abbildung zeigt eine Ameise, die vor mehr als 50 Millionen Jahren ins Harz eingeschlossen wurde. (c) Steinmann-Institut, Universität Bonn
Indien1.jpg (134.47 KiB) 27402 mal betrachtet
Zuletzt geändert von Thomas_ am Dienstag 26. Oktober 2010, 19:59, insgesamt 1-mal geändert.

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paul93
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Beitrag von paul93 » Dienstag 26. Oktober 2010, 19:52

Moin Thomas!

Danke für den Link!
Ich finde es immer wieder erstaunlich und sehr spannend, wenn durch
neue Entdeckungen Schlussfolgerungen gezogen werden können, die den
bisherigen Wissensstand erweitern und bisher bestehende Annahmen
verwerfen.

Liebe Grüße!
Paul
https://freitag-fossils.com/

Bei Fragen oder Hilfe zum Thema Präparation, gerne melden.

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Ronald
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Beitrag von Ronald » Dienstag 26. Oktober 2010, 20:57

Hallo Thomas,

danke Thomas für die sehr interessante Information. Die Pressemitteilung hat sehr schnell schon ziemlich große Kreise gezogen. Kein Wunder ist es doch eine sensationelle Sache und daran erkennt man auch welche Bedeutung diese Fundstelle hat.
Einen Beitrag der auf dieser Pressemitteilung beruht habe ich vorhin gerade in einer online Version einer Zeitung aus Saporoschje( Ukraine) gelesen. Und wollte ihn hier als Übersetzung wieder geben.
Da Du aber schon so ausführlich darüber geschrieben hast und auch den Link dazu gepostet hast( den ich noch nicht kannte), erspare ich es mir meine Übersetzung hier wieder zu geben. Aber für den Einen oder Anderen Russischkundigen oder russischen Muttersprachler ist es vielleicht denoch interessant den Artikel zu lesen, darum noch den Link dazu.
Das Bild eines Bernstein von dieser Fundstelle mit vielen Insekten darin ist auch schon sehr beeindruckend, erinnert mich ein wenig an den Dominikanischen Bernstein.

http://reporter-ua.com/2010/10/26/v-ind ... lionov-let


herzliche Grüße
Ronald
"Die ... Begeisterung, die wir beim Betrachten der Natur empfinden, ist eine Erinnerung an die Zeit, da wir Tiere, Bäume, Blumen und Erde waren ... das Wissen um unser Einssein mit allem, was die Zeit vor uns verborgen hält." Lew N. Tolstoi

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Jens K.
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Beitrag von Jens K. » Freitag 20. Januar 2012, 12:20

Hallo,

der Beitrag hier sollte auch ins Bernstein-Unterforum verschoben werden. Das stimmt, danke für den Hinweis, Gruß Sönke.

Hier noch ein Link zu einem ähnlichen Beitrag wie eingangs gezeigt:

http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-12 ... 10-26.html

lg,
Jens

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Frank
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Himalaya

Beitrag von Frank » Freitag 20. Januar 2012, 13:52

Wirft doch nen spannenden Blick auf die Rekonstruktion des Indischen Subkontinents und seine Bewegung durch Zeit und Globus.
Soweit ich mich entsinnen kann, stammt eh viel dieser früheren Rekonstruktionen auf den Basisdaten eines Forschers, der nach der Beweisführung her im Himalaya allerlei Fossilien gefunden hatte, die aus Marokko usw. stammten und damit einen Teil der Geschichte Indiens und seiner Bewegung begründet hat.
Was ich erstaunlich finde, ist die ungewöhnliche Erhaltung der Fossilien, ist das die einzige Fundstelle weltweit, bei der die Insekten etc. "partiell" noch erhalten sind oder gibt es hier noch mehr? Hängt das mit einem bestimmten Harztypus zusammen, Diagenese oder ist das einfach Glück?

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Jens K.
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Beitrag von Jens K. » Freitag 20. Januar 2012, 14:57

Hi Frank,

denke, dass der Bernstein da schon ein paar interessante Ausblicke gibt. Die Problematik mit Gupta ist ja noch ein anderes Thema.
Prof. Rust hält ein Inselhopping für die Ähnlichkeiten der Insektenfauna von Europa, Indien und Mittelamerika für wahrscheinlich.

Schaut man sich mal die Paläogeographie an, dann kriegt man ne Vorstellung von der Problematik.

Hier fürs Eozän, praktischerweise ist der indischer Bernstein ja auch 50 Mio. Jahre alt.

http://scotese.com/newpage9.htm

Inselhopping würde eben auch eine Verbreitung ähnlicher Insektenfaunen in Nordafrika gehen und über ne Art asiatische Landzunge (siehe Link) könnte Verbindung auch über die damals noch nicht vorhandene Himalyaregion bis zur Indischen Insel bestanden haben.

Ich vermute aber mal, dass ähnliche Faunen seinerzeit einfach viel weiter verbreitet waren, als wir es bislang wissen. Bernstein gibt es ja nicht überall.

Die Frage zum speziellen Harz wurde im ersten Beitrag ja schon angesprochen. Flügelfruchtgewächse (Dipterocarpaceae) gehören zu den Malvenartigen Pflanzen und offensichtlich eignet sich das fossile Harz dieser Pflanzen, um es aufzulösen und den Inhalt unter dem Rasterelektronenmikroskop untersuchen zu können.

Ähnliche Lösungsversuche beim baltischen Bernstein führen wohl zur Zerstörung des Inhalts.

lg,
Jens
Zuletzt geändert von Jens K. am Freitag 20. Januar 2012, 15:17, insgesamt 1-mal geändert.

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boborit
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Beitrag von boborit » Freitag 20. Januar 2012, 15:02

Hallo Jens,

danke für den tollen und interessanten Beitrag!
Viele Grüße - Michael

..."Was wiederum bestätigt, dass das im Stein möglich Vorhandene sich optisch eher verbergen, als das scheinbar Sichtbare unmöglich vorhanden sein kann!"

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Inselhopping

Beitrag von Frank » Freitag 20. Januar 2012, 15:17

Jens K. hat geschrieben:Hi Frank,

denke, dass der Bernstein da schon ein paar interessante Ausblicke gibt. Die Problematik mit Gupta ist ja noch ein anderes Thema.
Prof. Rust hält ein Inselhopping für die Ähnlichkeiten der Insektenfauna von Europa, Indien und Mittelamerika für wahrscheinlich.

Schaut man sich mal die Paläogeographie an, dann kriegt man ne Vorstellung von der Problematik.

..
Inselhopping würde eben auch eine Verbreitung ähnlicher Insektenfaunen in Nordafrika und über ne Art asiatische Landzunge (siehe Link) könnte Verbindung über die Himalyaregion bis zur Indischen Insel bestanden haben.

lg,
Jens
Hallo Jens
zum Glück gibts ja weltweit einige Eozän-Fundstellen, die seitens der Insekten schon eingies geleifert haben bzw. liefern können. Mit Bernstein ist es ja in der Tat immer zeitlich und räumlich lokal begrenzt. Inselhopping, tja. Insekten fliegen weit, treiben weit, da sind tausend km und mehr keine Entfernung und die Vermehrung ist auch nicht grad zurückhaltend.
Bin mal gespannt auf die Interpretation, werd, wenn mal Zeit ist, bei nem Besuch in Bonn in die Nachbarfakultät gehen und den Kollegen Rust mal aufsuchen, sofern er Zeit uns Lust hat...
Viele Grüsse, Frank

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Jens K.
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Beitrag von Jens K. » Freitag 20. Januar 2012, 15:19

Gern geschehen, habe ja auch nen Faible für Bernstein.
Habe sogar ne Handvoll Inklusen, nur leider nicht griffbereit, sondern 1000km entfernt. Wenn ich mal wieder daheim bin, dann nehme ich mir mal die Teile vor und fotografiere sie.

Ist was aus dem Bitterfelder und dem baltischen Bernstein mit dabei.

lg,
Jens

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boborit
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Beitrag von boborit » Freitag 20. Januar 2012, 15:22

Jens K. hat geschrieben:Gern geschehen, habe ja auch nen Faible für Bernstein.
Habe sogar ne Handvoll Inklusen, nur leider nicht griffbereit, sondern 1000km entfernt. Wenn ich mal wieder daheim bin, dann nehme ich mir mal die Teile vor und fotografiere sie.

Ist was aus dem Bitterfelder und dem baltischen Bernstein mit dabei.

lg,
Jens
Aber immer gerne!! :wink:
Viele Grüße - Michael

..."Was wiederum bestätigt, dass das im Stein möglich Vorhandene sich optisch eher verbergen, als das scheinbar Sichtbare unmöglich vorhanden sein kann!"

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