http://www.steinkern.de/fossilien-aller ... t-ohr.html
Hallo Victor,
ich melde mich hier eigentlich vor allem deshalb, damit Du nicht wieder das Gefühl bekommst, für Deine Beiträge würde sich niemand interessieren - vgl. "Bestimmung von Oberjura-Ammoniten". Aber leider kann ich wieder nichts zu Deinem Beitrag hinzufügen, weil er einmal mehr perfekt ist und (fast) keine Fragen offen lässt. Ich würde jedenfalls gern mehr solche tief ins Detail gehende Beiträge aus Deiner Feder/Tastatur lesen...
Und jetzt zur einzigen Frage, die ich habe: Warum versucht man eigentlich, gerade die Orthosphincten in unzählige Untergattungen und Unterarten aufzuspalten? Warum genügt nicht eine einzige Art, z.B. Orthosphinctes polygyratus, nachdem sich die anderen Orthosphinctes-"Arten" ohnehin allesamt ziemlich ähnlich sind. Es wäre doch kein Problem, diese "Arten" als Variationen einzustufen, selbst wenn manche von ihnen scheinbar auf bestimmte Schichten beschränkt sind. In der Literatur sieht man ja ständig, dass selbst Experten wie Du ihre Probleme mit den einzelnen "Arten" haben und diese nicht immer akzeptieren können.
Klar kann man Orthosphincten solange sortieren, bis man zehn verschiedene Ammoniten-"Haufen" mit ähnlichen Merkmalen erhält. Das könnte man aber auch mit Spatzen tun: Hier kommen die Spatzen mit etwas längeren Schanzfedern hin, dort die mit etwas kürzeren Schnäbeln, dort wieder die mit kleinem braunen Kopffleck und da diejenigen mit größerem Fleck.
Gerade bei den Orthosphincten habe ich schon lange meine Zweifel, ob man die Tierchen nicht zu einer einzigen Art zusammenfassen sollte, also z.B. Orthosphinctes polygyratus. Ich finde nicht, dass sich ein Orthospinctes evolutus vom O. polygyratus derart stark und grundsätzlich unterscheidet, dass er eine eigene Art rechtfertigen würde.
Bitte kläre mich mal auf, weshalb eine Unterscheidung in so viele Orthospinctes-Spezies sein muss bzw. sinnvoll ist. Oder ist das ganze nur Geschmackssache? Diesen Eindruck könnte man jedenfalls manchmal haben, wenn man die Literatur zu den Orthosphincten durchsieht.
Gruß und Danke
Michael
Schneidia mit Ohr
Moderator: Sönke
- wasserfloh
- Mitglied
- Beiträge: 877
- Registriert: Mittwoch 21. November 2007, 12:14
- Wohnort: 89340 Leipheim
- Victor Schlampp
- Steinkern-Preisträger 2023
- Beiträge: 5008
- Registriert: Freitag 20. Mai 2005, 00:11
- Wohnort: 91126 Rednitzhembach
Hallo Michael,
freue mich, dass eine Nachfrage zur "Schneidia mit Ohr" gekommen ist. Also grundsätzlich ist die Aufstellung von Gattungen und Arten bei ausgestorbenen Fossilgruppen (Bsp. Ammoniten) immer eine subjektive Angelegenheit, weil wir ja keine vergleichbaren rezenten Formen haben. Entsprechend werden sich Meinungen und Ansichten darüber immer wieder ändern.
Ich bin Vertreter der derzeit wieder einmal modernsten, der so genannten Chrospezies-Theorie. Diese besagt, dass eine Ammonitengattung innerhalb einer Biozone in der Regel nur mit einer einzigen Art (Spezies) vertreten ist, die eine extrem große Variationsbreite aufweisen kann. Dies gilt aber nur, wenn die entsprechende Ablagerung nicht kondensiert ist. Manche Ammonitengattungen ändern ihr Aussehen im Laufe der Evolution relativ schnell und deutlich, so dass die Aufstellung mehrer Arten gerechtfertigt ist. Allerdings nur aufeinander folgend, nicht nebeneinander vorkommend!
Bei den Orthosphincten, deren Vorkommen auf den Malm Alpha 3 bis Gamma 1 festgelegt worden ist - natürlich ist auch diese Grenzziehung subjektiv, weil sich die mögliche Vorläufergattung Otosphinctes (wird wie Orthosphinctes aber ohne r geschrieben) kaum von den frühen Orthosphincten unterscheidet.
Nimmt man die Gattung Orthosphinctes in der oben genannten Definition, so kann man grob vier Entwicklungszylen verfolgen:
1. Frühformen aus dem Malm Alpha 3 (unten): Orthosphinctes colubrinus; Meist evolute Gehäuse mit Einfachrippen und zweifach gespaltenen Hauptrippen, Schaltrippen äußerst selten, Spalpunkt liegt so hoch nahe der Externseite, dass die Spaltung in den inneren Umgängen durch die folgende Windung verdeckt wird.
2. Die ersten sichtbaren Veränderungen im oberen Malm Alpha 3: Orthosphinctes tiziani; Erstmals treten häufiger Schaltrippen auf, so dass gelegentlich pseudopolygarate Rippeneinheiten entstehen. Der Rippenspaltpunkt liegt etwas tiefer, so dass man in auch in den inneren Windungen sehen kann.
3. Ein vermehrtes Auftreten von Schaltrippen im Malm Beta neben vollkommen konservativen Formen (hier ist noch vieles unerforscht): Frühe Formen von Orthosphinctes polygyratus; Bei den makrokonchen Formen treten erstmals Büschelrippen auf.
4. Die Endformen im unteren Malm Gamma 1 mit stark diversifizierter Rippenspaltung: Orthosphinctes polygyratus.
All diesen Orthosphincten ist gemeinsam, dass die Zahl der Hauptrippen im Laufe des Wachstums stetig zunimmt, um nur bei sehr großen Exemplaren gleichzubleiben oder leicht abzunehmen. Ab dem Zeitpunkt, wo die Zahl der Hauptrippen generell gleichbleibt, oder schon frühzeitig abnimmt, wird die neue Gattung bzw. Untergattung Ardescia ausgewiesen. Erste Formen treten bereits im Malm Beta auf. Bestimmend werden sie aber erst ab dem mittleren Gamma 1.
Orthosphinctes evolutus ist eigentlich identisch mit Orthosphinctes polygyratus. Es handelt sich ja vermutlich nur um die Geschlechter einer einzigen Biospezies. Da sie allerdings in Größe, Altersskulptur und Mundsaum doch ziemlich verschieden sind, würde ich sie nicht nomenklatorisch zusammenlegen, zumal die Makrokonche der frühen Orthosphincten in der eigenen Untergattung Pseudorthosphinctes zusammengefasst werden. Sollte sich die Theorie des Dimorphismus irgendwann als falsch herausstellen, was zwar äußerst unwahrscheinlich, aber theortisch möglich ist, müsste man für die makrokonchen Formen wieder neue Gattungen und Arten aufstellen.
Das große Problem ist weiterhin, dass es in Instituten und Privatsammlungen kaum größere Mengen horizontiert aufgesammeltes Materials gibt und dass es wohl sehr viele Einwanderungszyklen und Schichtlücken gibt, die man bisher nicht kennt. Bin gerade beim Untersuchen einer Kalkbank im oberen Malm Gamma 1 von Gräfenberg. Einen Teil der Ammoniten kann man selbst mit bestem Willen nicht von den Formen der darunter liegenden Schicht ableiten. Hier muss es entweder Einwanderungen oder Schichtlücken gegeben haben.
Weitere Details stehen auch in meinem Artikel zur Einführung in die Bestimmung von Oberjura-Ammoniten
Beste Grüße
Victor
freue mich, dass eine Nachfrage zur "Schneidia mit Ohr" gekommen ist. Also grundsätzlich ist die Aufstellung von Gattungen und Arten bei ausgestorbenen Fossilgruppen (Bsp. Ammoniten) immer eine subjektive Angelegenheit, weil wir ja keine vergleichbaren rezenten Formen haben. Entsprechend werden sich Meinungen und Ansichten darüber immer wieder ändern.
Ich bin Vertreter der derzeit wieder einmal modernsten, der so genannten Chrospezies-Theorie. Diese besagt, dass eine Ammonitengattung innerhalb einer Biozone in der Regel nur mit einer einzigen Art (Spezies) vertreten ist, die eine extrem große Variationsbreite aufweisen kann. Dies gilt aber nur, wenn die entsprechende Ablagerung nicht kondensiert ist. Manche Ammonitengattungen ändern ihr Aussehen im Laufe der Evolution relativ schnell und deutlich, so dass die Aufstellung mehrer Arten gerechtfertigt ist. Allerdings nur aufeinander folgend, nicht nebeneinander vorkommend!
Bei den Orthosphincten, deren Vorkommen auf den Malm Alpha 3 bis Gamma 1 festgelegt worden ist - natürlich ist auch diese Grenzziehung subjektiv, weil sich die mögliche Vorläufergattung Otosphinctes (wird wie Orthosphinctes aber ohne r geschrieben) kaum von den frühen Orthosphincten unterscheidet.
Nimmt man die Gattung Orthosphinctes in der oben genannten Definition, so kann man grob vier Entwicklungszylen verfolgen:
1. Frühformen aus dem Malm Alpha 3 (unten): Orthosphinctes colubrinus; Meist evolute Gehäuse mit Einfachrippen und zweifach gespaltenen Hauptrippen, Schaltrippen äußerst selten, Spalpunkt liegt so hoch nahe der Externseite, dass die Spaltung in den inneren Umgängen durch die folgende Windung verdeckt wird.
2. Die ersten sichtbaren Veränderungen im oberen Malm Alpha 3: Orthosphinctes tiziani; Erstmals treten häufiger Schaltrippen auf, so dass gelegentlich pseudopolygarate Rippeneinheiten entstehen. Der Rippenspaltpunkt liegt etwas tiefer, so dass man in auch in den inneren Windungen sehen kann.
3. Ein vermehrtes Auftreten von Schaltrippen im Malm Beta neben vollkommen konservativen Formen (hier ist noch vieles unerforscht): Frühe Formen von Orthosphinctes polygyratus; Bei den makrokonchen Formen treten erstmals Büschelrippen auf.
4. Die Endformen im unteren Malm Gamma 1 mit stark diversifizierter Rippenspaltung: Orthosphinctes polygyratus.
All diesen Orthosphincten ist gemeinsam, dass die Zahl der Hauptrippen im Laufe des Wachstums stetig zunimmt, um nur bei sehr großen Exemplaren gleichzubleiben oder leicht abzunehmen. Ab dem Zeitpunkt, wo die Zahl der Hauptrippen generell gleichbleibt, oder schon frühzeitig abnimmt, wird die neue Gattung bzw. Untergattung Ardescia ausgewiesen. Erste Formen treten bereits im Malm Beta auf. Bestimmend werden sie aber erst ab dem mittleren Gamma 1.
Orthosphinctes evolutus ist eigentlich identisch mit Orthosphinctes polygyratus. Es handelt sich ja vermutlich nur um die Geschlechter einer einzigen Biospezies. Da sie allerdings in Größe, Altersskulptur und Mundsaum doch ziemlich verschieden sind, würde ich sie nicht nomenklatorisch zusammenlegen, zumal die Makrokonche der frühen Orthosphincten in der eigenen Untergattung Pseudorthosphinctes zusammengefasst werden. Sollte sich die Theorie des Dimorphismus irgendwann als falsch herausstellen, was zwar äußerst unwahrscheinlich, aber theortisch möglich ist, müsste man für die makrokonchen Formen wieder neue Gattungen und Arten aufstellen.
Das große Problem ist weiterhin, dass es in Instituten und Privatsammlungen kaum größere Mengen horizontiert aufgesammeltes Materials gibt und dass es wohl sehr viele Einwanderungszyklen und Schichtlücken gibt, die man bisher nicht kennt. Bin gerade beim Untersuchen einer Kalkbank im oberen Malm Gamma 1 von Gräfenberg. Einen Teil der Ammoniten kann man selbst mit bestem Willen nicht von den Formen der darunter liegenden Schicht ableiten. Hier muss es entweder Einwanderungen oder Schichtlücken gegeben haben.
Weitere Details stehen auch in meinem Artikel zur Einführung in die Bestimmung von Oberjura-Ammoniten
Beste Grüße
Victor
- wasserfloh
- Mitglied
- Beiträge: 877
- Registriert: Mittwoch 21. November 2007, 12:14
- Wohnort: 89340 Leipheim
Hallo Victor,
Danke für Deine ausführliche Antwort.
Habe ich Dich richtig verstanden: Wenn ich einen Orthosphincten z.B. in der platynota-Zone des Unteren Kimmeridgiums finde, dann ist es stets ein Orthosphinctes polygyratus bzw. evolutus - ganz gleich, wie sehr er sich von den anderen Orthosphincten, die in derselben Schicht neben ihm liegen, unterscheidet?
In Deinem Buch beschreibst Du aber doch ziemlich viele Orthosphinctes-Arten, die gemeinsam einer Schicht entstammen, z.B. Malm Gamma 1 (=platynota-Zone). Oder genügt die Unterteilung in Zonen hier nicht, so dass ich mich noch in Ammoniten-Horizonte als Biozonen hineindenken muss? Oder verstehst Du unter Biozone etwas ganz anderes als "Zone" oder "Horizont"?
Lieber Gruß
Michael
Danke für Deine ausführliche Antwort.
Habe ich Dich richtig verstanden: Wenn ich einen Orthosphincten z.B. in der platynota-Zone des Unteren Kimmeridgiums finde, dann ist es stets ein Orthosphinctes polygyratus bzw. evolutus - ganz gleich, wie sehr er sich von den anderen Orthosphincten, die in derselben Schicht neben ihm liegen, unterscheidet?
In Deinem Buch beschreibst Du aber doch ziemlich viele Orthosphinctes-Arten, die gemeinsam einer Schicht entstammen, z.B. Malm Gamma 1 (=platynota-Zone). Oder genügt die Unterteilung in Zonen hier nicht, so dass ich mich noch in Ammoniten-Horizonte als Biozonen hineindenken muss? Oder verstehst Du unter Biozone etwas ganz anderes als "Zone" oder "Horizont"?
Lieber Gruß
Michael