Spurensuche im Solnhofener Plattenkalk: Ein Tharsis wird unter die Lupe genommen

Welcher Fossiliensammler kennt das nicht? Manche Fossilien sehen auf den ersten Blick so bescheiden aus, dass die Entscheidung sie mitzunehmen oder liegen zu lassen intuitiv im Gelände gefällt wird. Das hier vorgestellte Stück soll ein Beispiel dafür sein, dass es sich lohnen kann, ein Fossil ein zweites Mal zu betrachten und dabei genau hinzusehen, bevor man ein möglicherweise interessantes Stück liegen lässt. Im Zweifel sollte gelten: Aussortieren kann man immer noch!

Das Fossil, um das es hier geht, ist ein Tharsis aus den Unteren Lagen der Solnhofener Plattenkalke (Tithonium, Oberjura) von Wegscheid in eher dürftiger Erhaltung. Dürftig erhalten, insofern als der Fisch auf Positiv und Negativ verrissen ist und sich zudem in Zerfall befindet, was zunächst wenig Begeisterung aufkommen lässt

 

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Abb. 1

 

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Abb. 2: Größere Ansicht anzeigen.

 

Auf den zweiten Blick jedoch zeigt das Fundstück Details, die das Potenzial für eine große Liebe beinhalten, denn das Stück erzählt mehr als nur eine Geschichte!

 

Betrachten wir noch einmal die Platte im Ganzen. Was fällt als Erstes auf? Der Fisch ist kaputt. Klar, das ist offensichtlich, denn die Schwanzflosse ist abgerissen.

 

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Abb. 3: Ansicht vergrößern!

 

Doch warum ist der Schwanz abgerissen? War der Verursacher ein Fressfeind? Oder vielleicht doch etwas anderes? Schauen wir uns den Fisch einmal genauer an. Wenn man die Platte ins ganz steile Licht stellt, erkennt man im Streiflicht die Abdrücke des Seitenlinienorgans der rechten Körperseite des Fisches. Der Verlauf ist in Abb. 4 als gepunktete schwarze Linie markiert. Somit ist klar, dass der Fisch ursprünglich für einige Zeit sauber artikuliert auf dem Sediment gelegen hatte.

 

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Abb. 4

 

Damit kann man einen Fressfeind wohl ausschließen. Vielmehr erscheint hier Mazeration ursächlich zu sein. Aufgrund von Sehnenschrumpfungen, ähnlich wie man es von Reptilien und Säugern kennt, kam es zu einer postmortalen Verkrümmung des Körpers, in Abb. 5 rot markiert.

 

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Abb. 5

 

Zeichnet man nun die ungefähre ursprüngliche Lage an (in Abb. 6 dunkelrot), erkennt man die Verstellung des hinteren Rumpfs zur Schwanzflosse deutlich.

 

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Abb. 6

 

Eine weitere Auffälligkeit besteht im relativ dünnen Schuppenkleid des Tharsis im Bereich des Bauchraums. Wieso ist das Schuppenkleid teilweise noch so gut erhalten und in anderen Bereichen fast nicht mehr existent? Eine mögliche Erklärung hierfür wäre ein fortgeschrittenes Stadium der Verwesung.

 

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Abb. 7: Ansicht vergrößern.

 

Schaut man genau hin, fällt einem im Bauchraum noch etwas auf. Es handelt sich in Wirklichkeit bei dem Fundstück aus Wegscheid nicht um einen Fisch, sondern um zwei. Im Bauchraum des Tharsis befindet sich ein Beutefisch!

 

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Abb. 8: Ansicht vergrößern.

 

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Abb. 9: Der kleine Fisch im Negativ. Ansicht vergrößern.

 

Doch wenn wir im Bauch einen Beutefisch haben und der Jäger so vor sich hin rottet, müsste das für den Erstgenannten dann nicht eigentlich auch gelten?
Der befindet ich bei Lichte besehen in einem recht ordentlichen Zustand, obwohl sich Zersetzungsprozesse nach dem Tod eines Tieres in dessen Magen so lange fortsetzen bis es keinen Nachschub mehr an Enzymen und Chemikalien gibt.
Bei RAMELOW 2010 findet sich ein interessanter Hinweis! In seiner Arbeit vergleicht er u. a. das Verdauungssystem von Raubfischen mit dem von Friedfischen (Pflanzenfressern). Raubfische besitzen im Gegensatz zu Friedfischen einen Magen mit mäßig saurem Milieu (pH-Wert 2,3 bis 2,8), an den sich der Darm anschließt. Friedfische dagegen haben keinen Magen, sondern nur den Darm mit leicht alkalischem Milieu. Dies könnte auch Teil einer Erklärung für die relativ gute Erhaltung des Beutefisches sein. Insbesondere die mineralischen Bestandteile der Wirbelsäule werden im alkalischen Milieu nicht so leicht angegriffen, wie es in einem sauren Milieu geschehen würde.
Was könnte nun die Ursache für die insgesamt doch recht gute Erhaltung beider Individuen sein? Mögliche Erklärungen könnten eine schnelle Mumifizierung durch einen hohen Salzgehalt im Wasser oder vielleicht auch ein zeitnahes Trockenfallen nach dem Tod des Tharsis sein.

 

Interpretation
Eine weitere Frage, die sich aufdrängt: wie kommt eigentlich ein verhältnismäßig großer Beutefisch in einen Tharsis hinein? Bei einem Caturiden könnte man das ja noch leicht nachvollziehen, da dieser ein Gebiss mit so großen Zähnen aufweist, dass es selbsterklärend wäre. Aber bei einem Tharsis? Dessen Kiefer sind nahezu glatt und somit kaum darauf ausgelegt, Fische zu fangen. Es könnte natürlich sein, dass er den Friedfisch versehentlich mitgeschluckt hat. Angesichts der Größe des Beutefischs ist das aber nicht sehr wahrscheinlich.
Plausibler erscheint die Möglichkeit, dass die Beute absichtlich aufgenommen wurde, weil im Lebensraum nichts anderes als Nahrung zur Verfügung stand – quasi eine Zwangshandlung. Ähnliches könnte für Anaethalion gelten. Von dieser Gattung sind mehrere Exemplare bekannt, in deren Bauchraum sich je ein Krebs findet. Von dem sehr großen Asthenocormus gibt es ein Exemplar, in dessen Bauchraum sich Sprotten befinden.

 

Ein spannendes Feld, bei dem man auf weitere Funde hoffen darf, die zur Klärung der aktuellen Interpretationslage beitragen könnten.

 

Angaben zu den Fossilien im Überblick:

Tharsis sp., ca. 12 cm mit Beutefisch, ca. 3 cm (im Verlauf der Wirbelsäule gemessen)

Fundort: Wegscheid (Eichstätter Bruchrevier)

Fundschicht: Untere Lagen, Solnhofener Plattenkalk, Tithonium

Plattenformat: 12 x 12 cm

Sammlung: Privat

 

Literatur:

RAMELOW, E. (2009): Grundlagen der Verdauungsphysiologie, Nährstoffbedarf und Fütterungspraxis bei Fischen und Amphibien unter besonderer Berücksichtigung der Versuchstierhaltung - Eine Literaturstudie und Datenerhebung, Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin, Journal Nr. 3351, Berlin.
Download: http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000007174/Ramelow.pdf

 

Udo Resch & Achim Hildebrand für Steinkern.de

 

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