Frankreich

Seesterne (Asteroidea) aus Bénerville/Mer und Villers/Mer (Frankreich)

Einführung

Die Skelette der Seesterne zerfallen nach dem Tod des Tieres in der Regel in ihre relativ kleinen Einzelteile, so dass einerseits fossile Seesternteile mit dem bloßen Auge schwer zu erkennen sind und andererseits ganze Seesterne oder wenigstens Seesternarme extrem rare Funde darstellen. Anders verhält es sich beim Schlämmen. BRETON (1992) beschreibt in seiner Doktorarbeit, dass er u. a. aus dem Steinbruch von Billot (Notre-Dame-de-Fresnay, Calvados, Frankreich) 2 Tonnen Material gewaschen und mehrere Tausend einzelne Skelettelemente dadurch erhalten hat.
Mein Mann Peter und ich sammelten ab 1983 zunächst in Bénerville-sur-Mer und seit einigen Jahren im benachbarten Villers-sur-Mer (Normandie, Frankreich) Fossilien und haben – zumindest bis dato – nicht geschlämmt. Trotzdem kann ich hier von ungewöhnlichen Seestern-Funden berichten.



Allgemeines zu Seesternen

Der ausgewachsene Seestern hat gewöhnlich eine pentagonale oder sternförmige Form. Die sternförmigen Asteroideen besitzen zumeist fünf abgesetzte Arme ausgehend von einer zentralen Scheibe. Mittig auf der Unterseite (Oralseite) befindet sich der Mund, der Anusbereich zentral auf der Oberseite (Aboralseite). Das für alle Echinodermen kennzeichnende Ambulakralsystem (Wassergefäßsystem) besteht aus einem zentralen Ringkanal von dem sich Radiarkanäle (Ambulakralfurchen) bis in die Armspitzen erstrecken. Von diesen Ambulakralfurchen gehen Ambulakralfüßchen ab, die nicht nur der Fortbewegung und der Atmung dienen sondern auch sensorische Funktionen erfüllen.
Die Bestimmung der Asteroideen basiert in der Regel, wegen des zumeist nicht vorhandenen Umrisses, auf Ausbildung, Lage und Größe, der den Körper randumlaufenden Marginalien (Randplatten), wobei die Supero-Marginalia (obere Randplatte) meist größer als die Inferio-Marginalia (untere Randplatte) ist. Diese Randplatten besaßen häufig Dornen, Stacheln oder Schuppen, wobei normalerweise nur die Stachelgruben sichtbar sind und für die Bestimmung herangezogen werden.


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Abb. 1  nach BRETON (1992)



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Abb. 2  Morphologie von Asteroideen


Fundstücke


Pentasteria recta (McCOY 1848) (Abb. 3-6)

Ordnung: Paxillosida PERRIER 1884
Familie Astropectinidae GRAY 1840
Gattung: Pentasteria VALETTE 1929

Dieser Seesternarm (L= 33 mm, B= 17 mm, H= 8 mm) wurde von Peter Hüne 1990 im oberen Callovium von Bénerville-sur-Mer direkt in den zu diesem Zeitpunkt freiliegenden Schichten der „Marnes de Dives“ gefunden. Seesterne der Gattung Pentasteria besaßen typischerweise 5 Arme und eine Zentralscheibe, deren Durchmesser in etwa einer Armlänge entspricht. Somit kann man hier also auf eine Gesamtgröße von mindestens 100 mm schließen. Der Arm ist leicht zur Spitze hin gekrümmt. Gut zu erkennen sind die auffälligen kraterartigen Stachelgruben seitlich der Supero-Marginalien. Drei kleine Dornen der Infero-Marginalien sind zur Spitze hin erhalten. Die oberen und unteren Randplatten sind versetzt angeordnet, haben in etwa die gleiche Größe und eine granulierte Oberfläche.

RIOULT & BULOW (1988) haben ein sternförmiges Hyporelief aus dem mittleren Oxfordium von Auberville  (Falaises des Vaches Noires) vorgestellt, wobei Größenverhältnisse (D=120 mm, Armlänge = 40 mm) und Morphologie auf einen Seestern der Art Pentasteri recta (McCOY 1848) als vermutlichen Urheber dieser Ruhespur Pentasteriacites aubervillense (RIOULT  & BULOW 1988) hinweisen.


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Abb. 3  Pentasteria recta (McCOY 1848), ob. Callov, Bénerville/Mer, Aboralseite


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Abb. 4  Pentasteria recta (McCOY 1848), ob. Callovium, Bénerville/Mer, Oralseite


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Abb. 5  Pentasteria recta (McCOY 1848), ob. Callov, Bénerville/Mer, Seitenansicht


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Abb. 6  Pentasteria recta (McCOY 1848), ob. Callov, Bénerville/Mer, Querschnitt



Tylasteria prisca (VALETTE 1928) (Abb. 7-10)

Ordnung: Valvatida PERRIER 1884
Familie Goniasteridae FORBES 1841
Gattung: Tylasteria SPENCER 1913

Der Fund des Seesternarmes Pentasteria recta (McCOY 1848) war schon sehr ungewöhnlich, dass Peter Hüne jedoch 2003 noch einen weiteren Seesternarm (L=12 mm, B=7 mm, H= 4 mm), dieses Mal jedoch Tylasteria prisca (VALETTE 1928)  aber wiederum im oberen Callovium von Bénerville-sur-Mer gefunden hat, setzte dem auch angesichts dieser kleinen Fundstelle schon fast die Krone auf.
Tylasteria prisca kommt vom oberen Bajocium bis zum oberen Oxfordium vor, wobei der Nachweis im Callovium des Calvados (Departement der Normandie) selten ist (BRETON 1992) . Es sind Asteroideen mit großer Zentralscheibe und kurzen Armen. Die Gesamtgröße beträgt etwa 100 mm.
Bei diesem Seesternarm handelt es sich um ein juveniles Exemplar. Dies zeigt nicht nur die geringe Größe des Armes sondern auch die gekrümmte Spitze, die dreieckig ausläuft.  Im Gegensatz zum Typus alternieren die unteren und oberen Randplatten kaum. BRETON beschreibt 1992 in seiner Doktorarbeit solche Fälle als juvenil, also charakteristisch für junge Exemplare. Die Infero-Marginalia sind größer als die Supero-Marginalia.


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Abb. 7  Tylasteria prisca (VALETTE 1928), ob. Callov, Bénerville/Mer, Aboralseite


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Abb. 8  Tylasteria prisca (VALETTE 1928), ob. Callov, Bénerville/Mer, Oralseite



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Abb. 9  Tylasteria prisca (VALETTE 1928), ob. Callov, Bénerville/Mer, Seitenansicht
 

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Abb. 10  Tylasteria prisca (VALETTE 1928), ob. Callov, Bénerville/Mer, Querschnitt



Crateraster cf. texensis (ADKINS & WINTON 1920) (Abb. 11-12)

Ordnung: Valvatida PERRIER 1884
Familie Goniasteridae FORBES 1841
Gattung: Crateraster SPENCER 1913

Diese phosphatisch erhaltene Randplatte ( L= 11.3 mm, H= 12.0 mm, B= 8.3 mm) fand ich 2010 in den Falaises des Vaches Noires bei Villers-sur-Mer in den Grünsanden des oberen Albium. Die Bestimmung bereitete mir einiges Kopfzerbrechen. Angesichts der Form tendierte ich zu Crateraster, deren Arten jedoch bei BRETON (1992), BRETON & VIZCAINO (1997) sowie JAGD (2000) durchweg kleinere Marginalien (L= 1.9 mm bis 4.7 mm, H= 1.6 mm bis 6.4 mm) aufweisen. Die einzige Gattung die scheinbar größenmäßig in Frage kam blieb also Metopaster mit Randplatten bis zu einer Länge von 15 mm. Ich schrieb schließlich an Dr. Gérard Breton eine Mail, auf die er mir schon am selben Tag antwortete, dass es sich bei meiner Randplatte tatsächlich um Crateraster handeln würde, aber möglicherweise eine noch nicht beschriebene Art.

Die Seesterngattung Crateraster hat eine pentagonale bis sternförmige Form mit kurzen Armen. Für die Gattung kennzeichnend sind die konvex gebogenen Außenflächen der Marginalien, die typischerweise eine granulierte Oberfläche haben und meist kraterförmige Stachelgruben aufweisen. Weder die granulierte Oberfläche noch Stachelgruben sind  allerdings auf meinem nicht so gut erhaltenen Fund zu erkennen.

Laut BRETON (1992) kommt Crateraster von der Basis des Cenomaniums bis zum oberen Danium des unteren Paläozäns vor. BLAKE & REID (1998) beschreiben jedoch Funde von Crateraster texensis (ADKINS & WINTON 1920) aus dem oberen Albium (Washita Group) von Texas, der in der Form des Körpers und der Randplatten sehr dem Gattungstypus Crateraster quinqueloba (GOLDFUSS 1831) ähnelt, wobei die Randplatten lediglich mit feinen Pusteln übersät und mit einer Länge von circa 16 mm auch erheblich größer sind. Stachelgruben sind nicht vorhanden.
Die Größe des ausgewachsenen Tieres beträgt im Durchmesser etwa 140 mm.


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Abb. 11 Crateraster cf. texensis (ADKINS & WINTON 1920),  ob. Alb, Villers/Mer


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Abb. 12  Crateraster cf. texensis (ADKINS & WINTON 1920),  ob. Alb, Villers/Mer, Dimension der Randplatte




Valettaster cf. ocellatus  (FORBES 1848)  (Abb. 13-14)

Ordnung: Valvatida PERRIER 1884
Familie Sphaeasteridae SCHÖNDORF 1906
Gattung: Valettaster LAMBERT & THIERRY 1920

Ebenfalls im Frühjahr 2010 fand ich diese beiden Ossikeln (Platten, Skelettelemente) (Nr. 1: D=15 mm, H= 8mm; Nr. 2: D=14 mm, H=7 mm)  im unteren Cenomanium in den Falaises des Vaches Noires bei Villers/Mer.
Zunächst wusste ich jedoch nicht, was ich nun wirklich gefunden habe. Bis ich auf der Suche nach obigen Crateraster auf die Seite http://www.chalk.discoveringfossils.co.uk/2BRITISH%20CHALK%20ASTEROIDS.htm stieß, wo ein Foto eines Ossikels von Valettaster argus zu sehen ist - mit einer Erwähnung von „Valettaster occelatus“. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Um nun eine Gewissheit zu bekommen, bat ich in der bereits oben erwähnten Mail Dr. Gérard Breton um seine Einschätzung. Er schrieb, dass es sich hierbei mit Sicherheit um Valettaster handelt. Da die Ossikeln mit dem Augenfleck (l’ocelle) typisch erdodiert sind, würde er zu Valettaster cf. ocellatus neigen.

Valettaster ist aus der oberen Kreide bis aus dem untersten Tertiär bekannt und hatte vermutlich eine pentagonale Form, denn Arme wurden noch nicht in körperlicher Erhaltung gefunden (KRAUSE 1997). Daher fand ich auch keine Angaben zur Größe dieser Seesterngattung.
Von der Seite ähneln die Ossikeln von Valettaster ocellatus niedrigen runden oder länglichen Kegelstümpfen, wobei die Neigungsflächen unregelmäßige Runzeln oder Knötchen, durch Grate oder Rinnen getrennt, aufweisen. Gut erhaltene Ossikeln zeigen vom Zentrum radial ausgehende feine Striche oder eine granulierte Oberfläche (JAGD 2000). JAGD (2000) bildet zahlreiche Valettaster ocellatus ab, die sehr schön den, auch auf meinen Exemplaren zu sehenden, gewellten Rand aufzeigen.

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Abb.  13  Valettaster cf. ocellatus  (FORBES 1848), unt. Cenoman, Villers/Mer, Nr. 1: Seitenansichten

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Abb. 14  Valettaster cf. ocellatus  (FORBES 1848), unt. Cenoman, Villers/Mer, Nr. 2: oben: gekippt - Ansicht links von der Spitze und rechts bis zum gewellten Außenrand,
unten: Seitenansicht


Dank

Ganz herzlich möchte ich mich bei Dr. Gérard Breton bedanken, der mir bei der Bestimmung der obigen Funde sehr geholfen hat, und bei meinem Mann Peter Hüne, der mich bei der Fossiliensuche unermüdlich unterstützt.

Liane Hüne, Berlin


Literatur


BLAKE D. B. & REID R. (1998) – Some Albian (Cretaceous) Asteroids (Echinodermata) from Texas and their paleobiological implications. Journal of Paleontology., USA, v. 72, no. 3, p. 512-532

BRETON G. (1992) – Les Goniasteridae (Asteroidea, Echinodermata) Jurassique et Cretaces de France , Thèse de Doctorat d’État Sciences, Université de Caen, Le Havre, F, 592p, 48 pls.

BRETON G. (2009) – Observation sur le comportement de l’étoile de mer Asteria rubens LINNAEUS, 1758, sur le fond sédimentaire du ort d’Antifer (Manche orientale) et actuapaléontologie de la trace fossile Pentasteriacites aubervillense RIOULT & BULOW, 1988. L’Écho des Falaises, Villers-sur-Mer, F, 12 :43-47

BRETON G.& VIZCAINO (1997) – Astérides (Echinodermata) de l’Ilerdien moyen (Yprésien) des Corbières (Audes, France) : Systématique, Relations paléobiogéographiques et évolutives. Bulletin de la Société d’Études Scientifiques de l’Audes, Le Havre, F, Tome XCVII : 11-28

HELM C. (1997) – Seesterne (Asteroidea) aus dem Campan von Hannover (Misburg, Höver). Arbeitskreis Paläontologie Hannover, Hannover, D, 25: 93-119.

HESS H. (1975) – Die fossilen Echinodermaten des Schweizer Juras. Naturhistorisches Museum Basel, Basel, CH, 8: 130p. 49pls.

HÜNE L. & HÜNE P. (2008) – Découverte de deux bras d’étoile de mer dans le Callovien supérieure de Bénerville-sur-Mer  (Calvados, France). L’Écho des Falaises, Villers-sur-Mer, F, 12 : 59-65, 2 pl.

JAGT J. W. M. (2000) – Late cretaceous and Paleogene echinoderms and the K/T boundary in the southeast Netherlands and northeast Belium-Part 5: Asteroids. Scripta Geol., Leiden, NL, 121: 377-503, 9figs., 27 pls.

KRAUSE H. (1997) – Valettaster, eine Seesterngattung ohne Arme. Arbeitskreis Paläontologie Hannover, Hannover, D, 4 (1997): 8

MORIÈRE. J. (1878) - Note sur une Astéride fossile nouvelle trouvée dans l’oxfordien des Vaches-Noires, entre Dives et Villers-sur-Mer. Bull. Soc. Linnéene Normandie, Caen, F, (3), II, 1877-8 (1878) : 75-82, 2pl.
OWEN E. & SMITH A. B. (1991) – Kreide-Fossilien, Ein Bestimmungsatlas der Fossilien des Chalk. Goldschneck-Verlag. Korb, D, 152 p.

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RIOULT M. (1978) – Villers-sur-Mer, son site, ses falaises, sa plage, son musée. Syndicat d’initiative de Villers-sur-Mer. Villers-sur-Mer, F, 31 p.

RIOULT M. & BULOW M. (1988) – Pentastericites, nov. ichnogenus, trace de repos d’une étoile de mer fossilisée dans le calcaire d’Auberville (Oxfordien moyen, Normandie). Bull. Soc. Linn. Normandie, Caen, F, 112-113: 115-120